
Hörspiel
30. April 1945: Der Tag, an dem Hitler sich erschoss und die Westbindung... | Teil 1 von 2
Teil 1/2 | Zu Beginn seines 2014 erschienenen Buches "30. April 1945 – Der Tag, an dem Hitler sich erschoss und die Westbindung der Deutschen begann", lässt der Filmemacher und Autor Alexander Kluge eine seiner Figuren feststellen, dass niemand das Gesamtbild überblickt. Auf gut dreihundert Seiten, gemeinsam mit seinem Schriftstellerkollegen Reinhard Jirgl, vermittelt er jedoch genau diesen umfassenden Überblick über den historischen Wendepunkt, den dieses Datum so bedeutend macht.
Kluge erreicht dies, indem er einerseits die Perspektive seines jüngeren Ichs einnimmt – den 13-jährigen Alexander, der gerade einen vernichtenden Bombenangriff auf seine Heimatstadt überlebt hat, jedoch mehr unter der elterlichen Trennung als unter dem Kriegsgeschehen leidet – und andererseits Sieger und Besiegte näher betrachtet. Dabei versetzt er sich in ihre Lage, widmet dem Denken Martin Heideggers besondere Beachtung und begegnet schließlich Geistern, die vom Blocksberg aus den ungerecht Behandelten eine Stimme verleihen. Sogar Ezra Pound kann diese Stimmen hören.
Die von Kluge genutzte literarische Technik ist seinen Lesern und Zuschauern vertraut: In kurzen narrativen Einheiten werden Lebensgeschichten zusammengefasst, Anekdoten entfaltet und unerwartete Verknüpfungen geschaffen, die – durch den Wechsel von Tragik und Humor – ein außergewöhnlich scharfes Abbild eines bestimmten Themas und Zeitpunkts entwerfen. Immer wieder beschwört er eine poetische Kraft, die der scheinbar kalten Welt der Fakten eine uralte menschliche Dimension entgegensetzt, eine Erzählkunst, die seine Werke zu einer "Wagenburg der Subjektivität" macht, wie Kluge es andernorts ausdrückte.
Haben wir uns in dieser Wagenburg eingefunden, enthüllt sich uns Lesern und Zuhörern vielleicht das größte Wunder des 20. Jahrhunderts: Dass diese ewigen Krieger, die Deutschen im Herzen Europas, am 30. April 1945 ihre Waffen niederlegen. Nicht aus taktischen Gründen, sondern aus einer tiefen seelischen Erschöpfung, die bedingungslose Kapitulation ermöglicht – eine bedeutende Leistung der Zivilisation, für die Kluge historische Parallelen aufzuzeigen vermag. Dennoch hat diese Entwicklung etwas Märchenhaftes: die Deutschen als glücklicher Hans, der ohne alles dasteht, doch von nun an ein neues Leben beginnen kann.
Zum Autor
Der 1932 in Halberstadt geborene Alexander Kluge arbeitet als Filmemacher, Schriftsteller, Drehbuchautor, Fernsehproduzent, bildender Künstler, Philosoph und promovierter Juris. Er wurde mit zahlreichen Preisen geehrt, u. a. mit dem Goldenen Löwen der Filmfestspiele von Venedig (1968), Georg-Büchner-Preis (2003) und Theodor-W.-Adorno-Preis (2009).
"30. April 1945: Der Tag, an dem Hitler sich erschoss und die Westbindung..." im Überblick
30. April 1945: Der Tag, an dem Hitler sich erschoss und die Westbindung...
von Alexander Kluge
Mit Dr. Mark Benecke, Eva Jantschitsch, Helge Schneider, Jochen Striebeck, Gabriel Raab, Pascal Fligg, Helmut Stange, Sebastian Weber
Produktion: 2015
| Sendezeit | Mi, 19.11.2025 | 22:05 - 23:00 Uhr |
| Sendung | Deutschlandfunk Kultur "Hörspiel" |