
Kultur & Gesellschaft
Augen zu Folgen
Was macht große Kunst aus? Darf man Beuys einen Scharlatan nennen? Muss man Botticelli lieben? Mit Leidenschaft, Fachwissen und Witz entführen die beiden Gastgeber einmal im Monat ihre Zuhörerinnen und Zuhörer in die wunderbare Welt der Kunst. Jede Folge widmet sich einem Künstler oder einer Künstlerin, ihren biografischen Wendungen, ihren besten Werken, ihren seltsamsten Ansichten. Überraschende Telefonjoker bieten jeweils neue Einblicke. Und am Ende hat jeder – auch mit geschlossenen Augen – einen Kopf voller Bilder. Florian Illies schreibt, seit er denken und sehen kann, über Kunst. Er gründete nach seinem Kunstgeschichtsstudium das Magazin “Monopol” und war lange Jahre Leiter des Auktionshauses Villa Grisebach. Er ist Autor der Bücher “1913" und “Generation Golf” und Mitglied des Herausgeberrats der ZEIT. Giovanni di Lorenzo ist Chefredakteur der ZEIT und ein leidenschaftlicher Kunstliebhaber. Dieser Podcast wird produziert von Pool Artists.
Folgen von Augen zu
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Folge vom 01.02.2023Ernst Ludwig Kirchner – vom Leben gezeichnetErnst Ludwig Kirchner war kein jugendliches Genie, wie so viele große Figuren der Kunstgeschichte. Nein, Ernst Ludwig Kirchner begann sogar zunächst Architektur zu studieren, bevor er dann 1905 in Dresden mit anderen Studenten die Künstlergruppe Die Brücke gründete. Und damit jene heißblütige, grellfarbige Form des Expressionismus in Deutschland begründete, die das Ungestüme betonte – ganz anders als die Maler des Blauen Reiter um Wassily Kandinsky, August Macke und Franz Marc, deren elegische Erdverbundenheit gleichzeitig eine ganz andere expressionistische Spielart etablierte. Doch was macht Ernst Ludwig Kirchner zum wichtigsten deutschen Expressionisten? Diese Frage diskutieren Florian Illies und Giovanni di Lorenzo in der neuesten Folge von Augen zu, dem Kunstpodcast von ZEIT und ZEIT ONLINE. Wie kaum ein anderer Künstler seiner Zeit war Kirchner durchlässig, saugte die Eindrücke seiner Umgebung in sich auf und setzte sie direkt in seinen Zeichnungen und Aquarellen um. Solange er in Dresden wirkte, in den Jahren von 1905 bis 1911, ist sein Stil weich, farbenfroh, geprägt von der barocken Sinnlichkeit der Stadt an der Elbe. Mit seinem Umzug nach Berlin wird Kirchner dann zu einem besessenen Erfasser der Beschleunigung in der explodierenden Metropole – seine Figuren werden kantiger, zackiger, sein Stil wirkt so hektisch wie der Verkehr auf dem Potsdamer Platz. Und genau wegen dieser Kongenialität sind seine Zeichnungen und Gemälde der Straßenszenen vom Potsdamer Platz, die in den Jahren 1913 und 1914 erscheinen, wohl die gültigsten Darstellungen der Moderne, die es in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg in Deutschland je gegeben hat. Anders als die italienischen Maler des Futurismus, die die rasende Zeit bejubelten, legt Kirchner in seinen Werken die Sollbruchstellen im Verhältnis der Menschen zur Stadt und innerhalb der Geschlechter offen. Die Künstlergruppe Brücke überlebt den Umzug nach Berlin nicht. Der Erste Weltkrieg dann ist für den hypersensiblen Künstler ein traumatischer Schock – obwohl er nicht kämpfen muss. Allein die Ausbildungszeit im Militär stürzt ihn in tiefe Depressionen und Angstzustände, sein "Selbstbildnis als Soldat" von 1915 gibt davon Auskunft: Seine rechte Hand, mit der er malt und zeichnet, hat er verstümmelt dargestellt, bildhafter Ausdruck einer gefürchteten künstlerischen Impotenz durch die Schrecken des Krieges. Kirchner fällt in die Abhängigkeit von Drogen und Morphium, und es folgt eine lange Zeit in Sanatorien, die dann zu seinem finalen Umzug nach Davos führt. Hier, ganz oben in den Alpen, fühlt er sich den menschlichen Zumutungen so weit als möglich enthoben, nur Erna Schilling, seine Gefährtin seit Berliner Tagen, begleitet ihn. In den Zwanziger- und Dreißigerjahren versucht Kirchner hier, sich zu beruhigen und einen neuen Stil zu finden – die Bilder wirken, als wolle er immer aufs Neue die Puzzlesteine, in die sein Leben zerfallen ist, zusammenzufügen. Weil er unzufrieden ist mit den Reaktionen auf sein Werk, erfindet er mit Louis de Marsalle einen fiktiven Kunstkritiker, unter dessen Pseudonym er überall Lobpreisungen auf seine eigene Kunst veröffentlicht – nur so hatte er das Gefühl, die Kontrolle über sein Werk zu behalten. 1938 dann, nach dem Anschluss Österreichs, angesichts der herannahenden deutschen Truppen, der völligen Vergessenheit seines Namens und der gerade erfolgten Aktion "Entartete Kunst" in den deutschen Museen, die zahllose seiner Werke abhängte, nahm er sich verzweifelt das Leben. Hätte er nur gewusst, dass wir heute in ihm genau jene singuläre Künstlerfigur des deutschen Expressionismus sehen, als die er sich selbst empfunden hat. Lob, Kritik, Anmerkungen? Schreiben Sie uns gern an augenzu@zeit.de. Ab sofort sind Teile des Archivs von "Augen zu" nur noch exklusiv mit einem Digitalabo der ZEIT zu hören – auf ZEIT ONLINE, auf Apple Podcasts und auf Spotify. Ein kostenloses Probeabo können Sie hier abschließen. Zu unserem vergünstigen Podcastabo geht es hier. Wie Sie Ihr bestehendes Abo mit Spotify oder Apple Podcasts verbinden, lesen Sie hier. [ANZEIGE] Mehr über die Angebote unserer Werbepartnerinnen und -partner finden Sie HIER. [ANZEIGE] Mehr hören? Dann testen Sie unser Podcast-Abo mit Zugriff auf alle Dokupodcasts und unser Podcast-Archiv. Jetzt 4 Wochen kostenlos testen. Und falls Sie uns nicht nur hören, sondern auch lesen möchten, testen Sie jetzt 4 Wochen kostenlos DIE ZEIT. Hier geht's zum Angebot.
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Folge vom 04.01.2023Artemisia Gentileschi – der Moment, als weibliche Gefühle sichtbar wurdenArtemisia Gentileschi (1593–1654) hat wirklich Geschichte geschrieben: Dank ihr wurden im italienischen Barock endlich auch die Gefühle der weiblichen Figuren der Mythologie und der biblischen Geschichte anschaulich. Plötzlich wurden Judith, Kleopatra, Lucretia und Maria Magdalena nicht wie all die Jahrhunderte zuvor aus männlicher Sicht dargestellt, sondern mit ganz neuartigen Merkmalen und sichtbaren Ausdrücken von Verletzlichkeit, Wut, Schmerz und Scham gezeigt. Schon als junges Mädchen, im Atelier ihres Vaters Orazio, verblüffte Artemisia die Kunstwelt durch ihre Fertigkeiten. Doch als sie als 17-Jährige von ihrem Kunstlehrer Agostino Tassi vergewaltigt wurde, drohte ihre Karriere als vermeintlich entehrte Frau im katholischen Italien der Gegenreformation schon beendet zu sein, bevor sie begonnen hatte. Doch es kam anders. In “Augen zu”, dem Kunstpodcast von ZEIT und ZEIT Online, erzählen Florian Illies und Giovanni di Lorenzo von der einzigartigen künstlerischen Laufbahn dieser Ausnahmefigur, bei deren Bildern es immer ums Ganze geht: um Liebe, um Hass, um entfesselte Lust und um entfesselte Gewalt. Gentileschi besaß nicht nur handwerklich ein großes Talent, sie war vor allem dazu in der Lage, die klassischen biblischen und mythologischen Themen auf eine neuartige Weise zu erzählen – und zwar in der Mimik und Gestik. Bei ihr entwickeln sich die Szenarien und Kompositionen aus dem Innern der Figuren – und nicht aus dem Drehbuch der Handlung. Nachdem Gentileschi für fast drei Jahrhunderte vergessen wurde, ist sie nun mit aller Macht in den Kanon der Kunstgeschichte zurückgekehrt. Wer ihre Kunst sehen will, kann dies in Deutschland im Schloss Pommersfelden tun, wo ihr erstes dokumentiertes Bild hängt, die "Susanna im Bade" aus dem Jahre 1610. Bis zum 23. März ist zudem in der Gallerie d’Italia in Neapel eine bahnbrechende Ausstellung über Artemisia Gentileschis Wirken in Neapel zu sehen. Lob, Kritik, Anmerkungen? Schreiben Sie uns gern an augenzu@zeit.de. Ab sofort sind Teile des Archivs von "Augen zu" nur noch exklusiv mit einem Digitalabo der ZEIT zu hören – auf ZEIT ONLINE, auf Apple Podcasts und auf Spotify. Ein kostenloses Probeabo können Sie hier abschließen. Zu unserem vergünstigen Podcastabo geht es hier. Wie Sie Ihr bestehendes Abo mit Spotify oder Apple Podcasts verbinden, lesen Sie hier. [ANZEIGE] Mehr über die Angebote unserer Werbepartnerinnen und -partner finden Sie HIER. [ANZEIGE] Mehr hören? Dann testen Sie unser Podcast-Abo mit Zugriff auf alle Dokupodcasts und unser Podcast-Archiv. Jetzt 4 Wochen kostenlos testen. Und falls Sie uns nicht nur hören, sondern auch lesen möchten, testen Sie jetzt 4 Wochen kostenlos DIE ZEIT. Hier geht's zum Angebot.
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Folge vom 07.12.2022Versteht man nichts von Kunst, wenn man Chagall liebt?Die Kunst Chagalls aus den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg erzählt von nichts anderem als seiner Herkunft – aus dem jüdischen Ansiedlungsrayon zwischen Litauen und dem Schwarzen Meer, in dem die osteuropäischen Juden nach der polnischen Teilung am Rande Russlands angesiedelt wurden. Von diesem Frühwerk erzählen Florian Illies und Giovanni di Lorenzo in der neuesten Folge von Augen zu, dem Podcast von ZEIT und ZEIT ONLINE. In der Frankfurter Schirn wirft die Ausstellung "Chagall. Welt in Aufruhr" aktuell einen genauen Blick auf seine Kunst der Dreißiger- und Vierzigerjahre, als sich sein Werk angesichts der Bedrohungen der nationalsozialistischen Terrorherrschaft verdunkelt. Erst nach Kriegsende, als er sich in Südfrankreich niederlässt, entsteht jene Kunst Chagalls, die dann weltberühmt wird – und die immer wieder den Vorwurf auf sich zieht, zu süßlich zu sein. Aber vielleicht sollten wir anfangen, genau darin eine Qualität zu sehen. Lob, Kritik, Anmerkungen? Schreiben Sie uns gern an augenzu@zeit.de. Ab sofort sind Teile des Archivs von "Augen zu" nur noch exklusiv mit einem Digitalabo der ZEIT zu hören – auf ZEIT ONLINE, auf Apple Podcasts und auf Spotify. Ein kostenloses Probeabo können Sie hier abschließen. Zu unserem vergünstigen Podcastabo geht es hier. Wie Sie Ihr bestehendes Abo mit Spotify oder Apple Podcasts verbinden, lesen Sie hier. [ANZEIGE] Mehr über die Angebote unserer Werbepartnerinnen und -partner finden Sie HIER. [ANZEIGE] Mehr hören? Dann testen Sie unser Podcast-Abo mit Zugriff auf alle Dokupodcasts und unser Podcast-Archiv. Jetzt 4 Wochen kostenlos testen. Und falls Sie uns nicht nur hören, sondern auch lesen möchten, testen Sie jetzt 4 Wochen kostenlos DIE ZEIT. Hier geht's zum Angebot.