
Kultur & Gesellschaft
Der neue Reaktionär: Curtis Yarvin und die Versuchung der smarten Tyrannei
Curtis Yarvin hegt die Vorstellung von einem Ende demokratischer Systeme und einem amerikanischen Herrscher mit autokratischen Befugnissen. Seine ideologischen Ansätze stoßen in einer ausgelaugten Gesellschaft auf Zuspruch und faszinieren rechtsgesinnte Führungspersönlichkeiten wie den Tech-Milliardär Peter Thiel und den US-Vizepräsidenten J.D. Vance.
In den verborgenen Ecken des World Wide Webs, wo Silicon-Valley-Utopien auf einen zynischen Blick auf die Nach-Demokratie-Ära treffen, hat sich ein Vordenker formiert, der den Zeitgeist der rechten Eliten entscheidend beeinflusst: Curtis Yarvin, dessen berufliches Wirken unter dem Alias Mencius Moldbug begann. Yarvin ist kein Vertreter des Faschismus, kein populistischer Agitator, sondern vielmehr ein Entwickler autoritärer Ordnungssysteme. Aus seiner Sicht ist das Konzept der liberalen Demokratie mit einer nicht reparablen Fehlfunktion behaftet – träge, korrupt und ineffizient. Was seiner Meinung nach notwendig ist, ist ein "CEO-Monarch", der ein Land mit der Effizienz und Dynamik eines jungen Unternehmens lenkt. Die Bürger? Sie verlieren ihren Status als Mitwirkende und werden zu Kunden, die bei Unzufriedenheit ihren "Vertrag" kündigen können. Wahlmöglichkeiten bleiben bestehen, indem man die Staatsbürgerschaft in einem alternativen Kleinstaat annimmt. Für Yarvin sind die Zeiten der großen nationalen Gebilde vorbei.
Was sich wie eine futuristische Erzählung anhört, hat bereits Einfluss auf die politische Szene: Seine Vorstellungen durchziehen die Kreise um einflussreiche Figuren wie Peter Thiel, J.D. Vance und Marc Andreessen – allesamt Männer von Gewicht, Reichtum und einem Verlangen nach Stabilität. Yarvins Denkansatz dient dabei nicht nur als revolutionäres Regierungsmodell, sondern auch als ästhetischer Reiz: das Versprechen, etwas über der gewöhnlichen liberalen Mittelmäßigkeit hinaus zu kreieren – autoritär, doch klug durchdacht. Seine Anhängerschaft besteht aus jungen Männern, voller Ironie, moralisch ausgebrannt und mit einem Bedürfniss nach Struktur.
Dass Yarvin heute in den inneren Zirkel der Macht – sei es in Washington, bei großen Kunstereignissen oder in Thiels privatem Umfeld – Eingang gefunden hat, ist kein Zufall. Es ist der leise Vorbote einer aufkommenden Ordnung, die keine Massenansammlungen benötigt, sondern lediglich einige wohlhabende Unterstützer und ein bisschen Programmierkunst.
Ava Kofman ist Essayistin beim The New Yorker. Davor war sie als engagierte Reporterin für ProPublica tätig und hat in angesehenen Medien wie The New York Times Magazine, Harper’s Magazine, The New York Review of Books und n+1 publiziert. Sie wurde mit renommierten Preisen wie dem Hillman Prize for Magazine Journalism (2023) und dem Bartlett & Steele Award for Outstanding Young Journalist im selben Jahr ausgezeichnet. Der hier vorliegende Text ist eine gekürzte Form ihres Essays "Curtis Yarvin’s Plot Against America", der im Juni 2025 im New Yorker veröffentlicht wurde.
Der neue Reaktionär: Curtis Yarvin und die Versuchung der smarten Tyrannei im Überblick
Sendezeit | So, 12.10.2025 | 09:30 - 10:00 Uhr |
Sendung | Deutschlandfunk "Essay und Diskurs" |