Anfang August wurden in nur einer Woche vier Menschen von der Polizei getötet, darunter ein wohnungsloser Mittzwanziger und ein aus dem Senegal geflüchteter Teenager. Seitdem ist das Thema Polizeigewalt noch präsenter und die Diskussionen, was angemessen ist und was nicht, laufen heiß. Insbesondere das Thema Rassismus kommt immer wieder auf und wird weiter befeuert von brutalen Fällen, wie denen im Wrangelkiez, den die Polizei zum »kriminalitätsbelasteten Ort« erklärt hat.
Im Gespräch mit dem Pressesprecher der Polizei Berlin, Amnesty Internationals Fachreferentin für Polizei und Menschenrechte sowie einem der Gründer der Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt betrachten wir die aktuelle Diskussion von mehreren Seiten. Dabei geht es um Forderungen nach Rassismusstudien in der Polizei ebenso wie um die aktivistische Praxis, Polizist*innen bei gewaltvollen Einsätzen zu filmen.
Mehr zu dem Thema:
2. Zwischenbericht des Forschungsprojektes »Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamt*innen«
Recherche des Mediendienst Integration: Rassismus und Antisemitismus bei der Polizei
Diskriminierungserfahrungen bei rechtswidriger polizeilicher Gewalt / Eine Befragung und Interviews beleuchten die Perspektive von Menschen mit Migrationshintergrund und People of Color
Außerdem:
Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt (KOP)
Amnesty International in Deutschland

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Folge vom 09.09.2022Polizeigewalt: Was ist verhältnismäßig?
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Folge vom 23.06.2022Sookee über Krieg und PatriarchatLuftangriffe, Maschinengewehre und Panzer: Assoziationen, die vielen bei dem Begriff Krieg in den Sinn kommen. Doch auch Vergewaltigungen und sexualisierte Gewalt sind Waffen, denen sich im Krieg bedient wird - obwohl international anerkannt wird, dass Vergewaltigungen ein Kriegsverbrechen sind. Mehr zu dem Thema: Der Körper als Schlachtfeld - Sexualisierte Gewalt ist seit jeher eine Kriegswaffe. Im Ukrainekrieg eröffnen die Selbstdokumentationen vieler Frauen wenigstens eine kleine Chance auf Strafverfolgung Mehr Informationen und Hilfe der zentralen Informationsstelle autonomer Frauenhäuser Frauenrechtsorganisation Amica e.V. Wenn du Hilfe suchst, kannst du dich hier melden: Das Hilfetelefon - Beratung und Hilfe für Frauen | 08000 116 016
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Folge vom 10.05.2022Über die Grenzen des JournalismusIn der Medienbranche geht es oft darum, die stärksten Bilder und Storys zu haben und am schnellsten zu sein. Schockierende menschliche Schicksale und extreme Bilder und Situationen sind in Kriegszeiten Alltag. Wo ist die Grenze für die Presse zwischen der Aufgabe, darüber aufzuklären und die Menschenwürde anderer zu wahren? Wir haben im System Journalismus per se Spannungen. Das Verlangen, dass möglichst schnell und umfassend berichtet werden soll, steht in einem Spannungsverhältnis zu einer gründlichen Recherche. Dazu kommt die Forderung, die Auflage zu erhalten oder gar zu erhöhen. Das führt wiederum dazu, dass ein gewisser Trend in Richtung drastische, schockierende Bilder und Berichterstattung geht. Und das steht in einer Spannung zur Wertschätzung gegenüber dem Berichtobjekt und dem Schützen derer Privatsphäre. Diese Situation wird gegenwärtig durch Social Media noch verstärkt, weil dort die Menschen Berichte praktisch in Echtzeit geliefert bekommen. Und damit wird der professionelle Journalismus ein Stück weit vor dieser Social Media Geschwindigkeit hergetrieben, weil die gleiche Schnelligkeit erwartet wird, zugleich aber auch seriöse Recherche. Das geht einfach nicht zusammen. Da müssen wir uns auch als Gesellschaft fragen: Was erwarten wir überhaupt von seriösem Journalismus? Wir können nicht nur Forderungen stellen. Für die Veröffentlichung von extremen Bildern wird oft das Argument genannt, dass die Aufklärung über die Situationen der Fokus ist und damit auch politischer Druck ausgeübt werden kann, wie damals im Vietnamkrieg. Wie würden Sie das bewerten? Wo ist die Grenze? Grundsätzlich ist dieser Gedanke richtig. Journalismus hat die Aufgabe zu informieren, damit die Rezipient*innen sich selbst ihre Meinung bilden und ihre Aufgabe als Bürger*innen in einer Demokratie entsprechend wahrnehmen können. Trotzdem bedeutet das nicht, dass diese Aufgabe und Pflicht, zu informieren, ein Freifahrtschein für jede Art von Bildern ist. Wir müssen jeweils auch den Kontext anschauen. In was für einer Gesellschaft findet welche Berichterstattung statt? Im Vietnamkrieg war es wichtig, durch brutale Bilder aufzurütteln. Innerhalb der USA gab es da ein sehr unkritisches Verhältnis zu den Vereinigten Staaten als Kriegspartei. Und erst durch Bilder, wie beispielsweise dieses sehr bekannte Bild von Nick Ut, der Kinder fotografierte, die vor einem Bombenangriff weglaufen, haben sich die Protestbewegungen in Gang gesetzt. So haben Menschen überhaupt erst Widerstand gegen den Krieg formiert. Heute sind wir, denke ich, in einer anderen Situation. Wir haben hier in Europa ein ziemlich klares Verständnis davon, dass Krieg schlecht ist und das, was in der Ukraine passiert, nicht passieren sollte, dass wir dringend etwas tun müssen. Die großen Fragen sind vielmehr: Welche Maßnahmen wollen wir ergreifen und sind wir auch bereit, unbequeme Maßnahmen durchzusetzen, beispielsweise was Wirtschaftssanktionen betrifft? Da sehe ich nicht die Notwendigkeit von brutalen Bildern. Journalist*innen sind neben Ersthelfenden, medizinischem Personal und Grenzpersonal eine der ersten Gruppen, die in Krisensituationen oder in Katastrophen da sind. Doch oft sind sie sich ihrer Verantwortung im Umgang mit traumatisierten Menschen und dieser psychologischen Komponente nicht bewusst. Was wären denn Ansätze für Redaktionen, Journalist*innen besser zu schulen? Wichtig wäre, Kenntnisse in Richtung Krisenintervention und ‑kommunikation zu vermitteln, damit man auch lernt zu verstehen, wie Krisen funktionieren. Nicht zuletzt, weil durch falsches Fragen Traumatisierungen noch einmal verstärkt werden können. Immer wieder hört man das Argument: Die Angehörigen der Verstorbenen haben ja eingewilligt, dass diese Bilder gezeigt werden. Nur kann man nicht von einer wirklich autonomen Entscheidung sprechen, weil die Menschen in solchen Sondersituationen emotional so am Rand dessen sind, was sie überhaupt noch ertragen können. Da kann man natürlich nicht davon ausgehen, dass sie eine rationale Entscheidung treffen. Menschen sind in besonders belastenden Situationen auch eher bereit, intime Dinge zu erzählen. Die lassen sich zwar gut vermarkten, aber die betroffene Person wird es im Nachhinein vielleicht bereuen, diese Dinge preisgegeben zu haben. Deshalb braucht es Journalist*innen, die bereit sind, aus Respekt der Person gegenüber zugunsten des Berichtobjekts zu entscheiden und auf eigene wirtschaftliche oder berufliche Vorteile zu verzichten. Es braucht Systeme, die eben solches verantwortliches journalistisches Handeln fördern und belohnen. Einzelne, die auf eine sensationsorientierte Berichterstattung verzichten und darauf, die Emotionen von den betroffenen Menschen auszubeuten, sollten keine Nachteile haben. Welche Emotionen werden durch die derzeitigen Bilder in der Berichterstattung über den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine bei Menschen hervorgerufen? Entsetzen, Mitgefühl und Angst. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass es in unserer Gesellschaft Menschen gibt, die kriegerische Konflikte erlebt haben. Das sind unsere hochbetagten Mitbürger*innen, aber auch Menschen, die selbst einen Fluchthintergrund haben und in Deutschland leben. Die werden angetriggert durch solche Bilder. Es werden Angstzustände aus früheren Situationen wachgerufen. Ein weiteres Gefühl ist Ohnmacht: Die Situation ist dramatisch, trotzdem sieht der*die Einzelne nicht, was er*sie dazu beitragen kann, dass sich etwas verbessert. Negative Emotionen können dazu führen, dass Menschen sich abschotten. Wir sollten eigentlich eher Wege und Optionen zeigen, wie sich Menschen engagieren können, wie eben dieses positive Gefühl der Empathie wirksam werden kann. Ich war vor zwei Monaten an der polnisch-ukrainischen Grenze und habe dort einen Helfer kennengelernt, der am Anfang sehr kritisch auf uns reagierte. Später erzählte er, dass zu Beginn des Krieges Journalist*innen an die Grenze gefahren seien und ein Feuer gelegt hätten, um krassere Bilder zu bekommen. Es hat ihn sehr misstrauisch gegenüber Pressevertreter*innen gemacht. Kann als moralisch verstandenes Fehlverhalten zu noch größerem Misstrauen in die Medien führen? Dieses Problem hat man natürlich in jedem Beruf, dass einzelne Vertreter*innen, die sich besonders schlecht verhalten, die Reputation der ganzen Branche gefährden. Das wird man nie in den Griff bekommen. Umso wichtiger ist es, eine sehr solide Ausbildung und klar definierte Verhaltenskodizes zu haben. Das ist im Journalismus der Fall. Außerdem sollte der Journalismus von dem System, das ihn umgibt, also konkret von der Gesellschaft, mehr Unterstützung bekommen und nicht mehr Druck. Wir müssen uns in einer Demokratie bewusst sein, dass guter Journalismus einen Preis hat, dass es dafür Zeit braucht. Und wir müssen die entsprechenden Ressourcen dafür zur Verfügung stellen, wenn uns das ein Anliegen ist. Bei schädlichen Bildern, sowohl für die sehende als auch die fotografierte Person: Könnte man das auch mit einer Triggerwarnung auffangen? Aber könnte es nicht auch passieren, dass Menschen abstumpfen, wenn man zu viele Warnungen ausspricht? Beides ist der Fall. Es macht sicher Sinn, Triggerwarnungen einzusetzen. Mir wurde oft von Menschen erzählt, dass sie sich von Bildern sehr belastet fühlen, besonders auch von bewegten Bildern. Diese versuchen sie bewusst zu vermeiden, gerade wenn sie Triggerwarnungen sehen. Das sind aber natürlich Menschen, die bereits ein hohes Maß an Medienkompetenz mitbringen. Davon kann man nicht im Allgemeinen ausgehen. Manche Menschen werden durch Triggerwarnungen vielleicht gerade in ihrer Neugierde angestoßen, doch hinzusehen. Triggerwarnungen sind aber dennoch sinnvoll, weil sie ein Stück weit Transparenz bedeuten.
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Folge vom 05.03.2022Nicht nur Pille, bitteDen Moment bei der Frauenärztin, beide Beine weit gespreizt und eines der intimsten Körperteile entblößt, den fand ich schon immer etwas unangenehm, besonders als Jugendliche. Als ich 18 Jahre alt war, war ich mal wieder in genau dieser unangenehmen Situation. Seit vier Monaten war meine Periode ausgeblieben, an den Besuch bei der Gynäkologin führte kein Weg mehr vorbei. »Kein Wunder kriegen Sie ihre Periode nicht mehr, Sie sind viel zu dünn«, quäkte mich die Ärztin an. »Kriegen Sie besser jetzt Kinder, sonst wird das nichts mehr.« Ich war geschockt. Laut BMI war ich weder unter-, noch übergewichtig. Ich war gerade dabei das Abitur zu machen. Ein Kind zu bekommen kam mir in diesem Lebensabschnitt unpassend vor. Damit ich wieder eine Blutung bekomme, bekam ich ein Rezept für die Pille in die Hand gedrückt. Ich war irritiert. Nach etwa eineinhalb Jahren war ich von den starken Nebenwirkungen der Pille genervt und hatte sieben Kilo mehr auf der Waage. Ich wollte endlich wissen, was für eine Zyklusstörung ich hatte und beantragte bei meiner Gynäkologin meine Patientinnenakte, um die Praxis zu wechseln. Da stand es dann ganz fett auf dem Befund: polyzystisches Ovarialsyndrom, kurz PCOS. Ich hatte keine Ahnung, was das bedeutete. Nach Recherche, Arztbesuchen und einem Termin in der sogenannten »Kinderwunschabteilung« eines Universitätsklinikums begann ich zu verstehen, was da alles dranhängt: PCOS ist eine Hormonstörung, die schätzungsweise fünf bis zehn Prozent aller cis Frauen im gebärfähigen Alter haben. Gesprochen wird darüber kaum, vielleicht auch weil die Symptome nicht ins gängige Repertoire eines Small Talks passen: Pickel, fettige Haut, zu wenig Haare auf dem Kopf, dafür zu viele am Körper und im Gesicht, Gewichtszunahme, einen seltenen Eisprung und somit unter Umständen auch Unfruchtbarkeit. Die medizinische Erklärung ist komplex. Männliche Hormone werden in den Eierstöcken überproduziert, deshalb kommt es verzögert oder gar nicht zur Eizellreifung, was sich wiederum auf den Eisprung auswirkt. Außerdem gibt es einen ganzen Pool an Begleiterscheinungen wie beispielsweise Schilddrüsenunterfunktion oder Insulinresistenz, was sich wiederum auf das Körpergewicht auswirkt. Viele von PCOS betroffene Frauen sind deshalb übergewichtig. Ich bin nicht übergewichtig, muss aber ständig auf meine Ernährung achten. Medizinische Beratung zu bekommen ist schwierig. Das verwundert mich immer wieder aufs Neue. Von allen Gynäkologinnen, bei denen ich bisher wegen PCOS war, habe ich ein Pillenrezept in die Hand gedrückt bekommen. Mehr könne man eben nicht machen. Und das, obwohl ich jedes Mal betont habe, dass ich die Antibabypille nicht vertrage. Wie mir geht es vielen anderen jungen Frauen. In den letzten Jahren hat die Zahl an Onlineforen oder PCOS-Bloggerinnen enorm zugenommen. Betroffene beraten sich gegenseitig und teilen ihr Wissen. Für stolze Preise werden Seminare und E-Books angepriesen, geschrieben von Betroffenen meist ohne medizinische Ausbildung. Ich wundere mich sehr, wie wenig diese weit verbreitete Frauenkrankheit von unserem Gesundheitssystem beachtet wird, dann aber von Geschäftsfindigen als Einkommensquelle umfunktioniert wird. Mit einer Ernährungsumstellung und einigem Wissen über PCOS lässt sich die Intensität mindern. Deswegen finde ich, dass jede Betroffene als Krankenkassenleistung ein Anrecht auf Informationen haben sollte und darauf, mehr als nur ein Pillenrezept in die Hand gedrückt zu bekommen.