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Folgen von ndAktuell

21 Folgen
  • Folge vom 29.01.2022
    Allergisch auf Bekenntniszwang
    Als Einstieg vorhersehbar aber unvermeidbar: Wie seid ihr bis jetzt durch die Pandemie gekommen? Jan Müller: Natürlich ist das eine schwere Zeit, die auch mit erheblichen finanziellen Einbußen für uns verbunden gewesen ist. Aber ich finde eigentlich nichts schlimmer als dieses Rumgejammere. Es geht um ein Virus und nicht um etwas, das sich jemand irgendwo ausgedacht hat. Zugegeben, wir sind ganz gut durch das erste Jahr gekommen. Wir haben erst am neuen Album gearbeitet und dann ein paar pandemiekonforme Konzerte spielen können. Aber, das kann ich ja in einer politischen Zeitung sagen: Ich habe mich sehr über die FDP geärgert und darüber, was die angerichtet hat. Obwohl ich mich sonst von parteipolitischen Erwägungen fernhalte. Ihr hattet euch dem von der Band »Die Ärzte« gestarteten Impfaufruf angeschlossen und euren Song »Pure Vernunft darf niemals siegen« abgewandelt. Also das ganze Gegenteil zu den allesdichtmachen-Videos einiger Schauspieler*innen. So klar aufseiten der Staatsräson hat man euch noch nie erlebt, oder? Jan Müller: Zunächst mal muss ich sagen, bin ich sehr froh über unsere Berufsgruppe. Weil man bei Musikerinnen und Musikern eine sehr große Disziplin feststellen konnte, bis auf ganz wenige Ausnahmen. Und das, obwohl sie eine Gruppe sind, die am härtesten betroffen ist, viel härter als die größtenteils sehr berühmten Schauspieler, die sich an »allesdichtmachen« beteiligt hatten. Wenn man bei so etwas wie dem Impfaufruf mitmacht, schlägt einem sofort auch viel Hass von Fanatikern entgegen. Und es fällt schwer, das einfach zu ignorieren, denn das sind ja nicht nur Trollarmeen oder Bots, sondern mitunter auch Fans. Am schlimmsten ist diese pseudo-linke Rhetorik: »Ihr lasst euch vor den Karren der Pharmaindustrie spannen.« Ich finde das so verblendet, wie die Menschen da argumentieren. Dirk von Lowtzow: Die scherzhafte Abwandlung des Songs war ja bewusst milde und antiautoritär gemeint. Man möchte bei dem Thema nicht predigen, obwohl man allen Grund dazu hätte. Erschreckend eigentlich, wie weit verbreitet diese Verharmlosung oder Leugnung bei Menschen ist, von denen man das eigentlich nicht angenommen hätte. Aber es gibt eben keine Gesinnungsprüfung beim Hören unserer Musik. In der Presseankündigung zu eurem neuen Album heißt es, es sei ein Trostspender in der Hoffnungslosigkeit. Das ist sehr fürsorglich gegenüber euren Hörer*innen. Dirk von Lowtzow: Es ging in der Ankündigung um die heilende Kraft von Musik. Deshalb steht auch dieses Zitat von dem Freejazzer Albert Ayler dabei: »Music Is the Healing Force of the Universe.« Was so ein toller Satz ist. Es gibt etwas bei Musik, das wir alle sehr mögen, das man vor allem bei Gruppen wie The Velvet Underground findet, dass Songs eine solche Nähe erzeugen. Manchmal auch nur durch die Form, durch die Aufnahme, durch die Art, wie der Gesang klingt oder die Gitarren, sodass man das Gefühl hat, jemand legt eine Hand tröstend auf jemandes Schulter. Das finde ich als Songwriter ganz schwer zu erreichen. Und wenn man das erreicht hat, dann ist man sehr sehr glücklich. Jan Müller: Man kann sich ruhig den emotionalen Zugang zu unserer Musik trauen. Wir haben oft das Gefühl, dass wir so einen intellektuellen Nimbus haben. Das ehrt uns ja - aber es ist im Endeffekt Musik. Stichwort Emotionen. Im Titelsong zum Album heißt es »Nie wieder Krieg in dir, in uns, in mir«. Das klingt so nach Achtsamkeit. Dirk von Lowtzow: Also da würde ich gerne sofort widersprechen! Das ist so ein Wort, das ich absolut verabscheue. Da steckt ein neoliberaler Begriff von Selbstoptimierung und Selfcare darin, den ich ablehne. Beim »nd« kann man ja mit Dostojewski etwas anfangen - also für mich steckt in »Nie wieder Krieg!« diese innere emotionale Spannung, unter der auch Dostojewskis Figuren stehen. Und die wünschen sich dann unter so einem Begriff so etwas wie Gnade. Ich will das jetzt nicht vorgeben, aber der Begriff Achtsamkeit ist scheußlich. Achtsamkeit war nicht im Lifestyle-Sinn gemeint, sondern es klingt nach dem Abschwören vom Hass, der ja auch immer Teil eurer Musik war. Dirk von Lowtzow: Es gibt immerhin ein Stück auf dem neuen Album, das heißt »Ich hasse es hier«. Das ist wahr. Also noch mal anders: Die Textzeile klingt wie die Hinwendung zur Liebe, zur Kraft der Liebe. Dass man im Reinen mit sich ist. Dirk von Lowtzow: Nein, das ist ja ein Wunsch. Und der wird ja deshalb geäußert, weil es diesen Krieg und diese inneren Spannungen und diese Widerstreite gibt. Bei Achtsamkeit dreht man sich vor allem um sich selber. Und das ist schon eine Antithese zu der Art, wie wir Musik machen oder wie man sich selber versteht als musizierendes Kollektiv. Als Leute, die was machen, was auch anderen was geben soll. Dann wären wir bei Nächstenliebe, wenn man jetzt einen christlichen Begriff nehmen will, das würde ich viel eher unterschreiben als dieses Awareness. Oder aber Solidarität. Als Erstes fällt doch die Anlehnung an die frühe Friedensbewegung im Titel auf. Dirk von Lowtzow: Ausgehend von Käthe Kollwitz. Und das war eigentlich auch die Idee, weil wir oft mit Aneignungen arbeiten, dass man etwas, was aus der politischen Sphäre kommt, in die private Sphäre transferiert. Ähnlich ist es beim Song »Jugend Ohne Gott Gegen Faschismus«, eine Anlehnung an Ödön von Horváth. Und so parolenhaft wie »Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein«. Wollen Tocotronic noch Teil einer Bewegung sein, und wie könnte die aussehen? Wo doch heute jeder auf seiner eigenen Yogamatte hockt. Jan Müller: Teil einer Jugendbewegung schon mal nicht. Das verbietet ja unser Alter. Das war altersunabhängig gemeint. Dirk von Lowtzow: Dieser Song ist die Beobachtung eines Außenstehenden und eine Verbeugung vor der Jugend, wie wir sie hier in Berlin beobachten können. Es gibt ja nichts Blöderes, als alternde Menschen, die sich über die Jugend beschweren. Wir als Band haben einen ähnlichen Blick auf die Welt und bestimmt auch Sympathie für verschiedene Bewegungen, die zurzeit existieren. Aber Tocotronic sind mit einem großen Abgrenzungswillen gegenüber anderen entstanden. Dann waren wir Teil einer gewissen Szene in Hamburg in jenen Jahren, was mich auch schnell skeptisch gemacht hat. Einerseits war diese Szene sehr toll, aber andererseits auch sehr autoritär. Jan Müller: Ich bin eigentlich ganz zufrieden so, wie es jetzt ist. Man kann sich solidarisieren, wenn man möchte. Aber diesen Bekenntniszwang, den es heute oft gibt, dagegen habe ich immer noch eine schwere Allergie. Führt letztlich vielleicht diese Zufriedenheit dazu, dass ihr klare politische Botschaften in euren Stücken eher vermeidet? Dirk von Lowtzow: Wir arbeiten gern mit Titeln. Und manche der Titel sind Aneignungen, so wie »Let There Be Rock« zum Beispiel oder eben »Nie wieder Krieg!«. Insofern sind die beiden Stücke sogar ein bisschen miteinander verwandt. »Das Rote Album« hattet ihr bei der Veröffentlichung ausgerechnet am 1. Mai im SO36 vorgestellt. Also mitten in Kreuzberg, wo an diesem Tag noch vor ein paar Jahren heftigste Straßenschlachten tobten. Das sind sehr deutliche politische Marker, mit denen ihr da spielt. Ist so was dann auch politisch gemeint - oder eher eine Form von Ästhetik? Jan Müller: Nehmen wir mal das Beispiel »Nie wieder Krieg!«. Wenn das ein Antikriegslied im klassischen Sinne wäre, also die Vertonung des Plakats von Käthe Kollwitz, dann wäre das sehr langweilig und hätte auch sehr wenig Mehrwert. Aber wenn ein Mensch diesen Titel liest und daraufhin den Song hört, dann hat das doch etwas sehr Überraschendes. Und vielleicht ist das im Endeffekt viel politischer, als wenn es ein Antikriegslied wäre. Außerdem finde ich, es klingt schnell vermessen, wenn man sagt, man ist eine politische Band. Das mögen dann doch andere beurteilen. Aber auf jeden Fall - ich glaube, das kann ich für uns alle vier sagen - sind wir politisch interessierte Menschen. Dirk von Lowtzow: Ich würde fragen: Was ist eigentlich politisch? Wenn man sich künstlerisch ausdrückt, dann ist es eben so, dass man nicht wie beispielsweise eine Zeitungsredaktion Themen auswählt und sagt, jetzt brauchen wir mal ein Stück gegen dieses oder für jenes. Bei uns ist es eher so, dass die Themen zu einem kommen. Man kann zufällig an einer Litfaßsäule vorbeigekommen sein, an der ein Plakat zu einer Käthe-Kollwitz-Retrospektive klebte, und dann kommt einem das plötzlich in den Kopf. Und aus diesen Gedankensplittern basteln wir so etwas wie musikalische Mikro-Lebensdramen oder vielleicht auch Tragikomödien. (lacht) Jan Müller: Ich finde, in jedem Leben ist etwas Politisches. Man kann das nicht trennen. Denn diese Leben finden in einem politischen Umraum statt, in der Gesellschaft, in der Sozialität. Und diese Verbindung ist für mich das, was Musik, was Kunst im weitesten Sinne auch politisch macht. Was wäre denn ein Beispiel für einen guten, direkt politischen Song? Das würde mich mal interessieren. »Mensch Meier« mit den Zeilen »... eher brennt die BVG« von Ton Steine Scherben zum Beispiel. Jan Müller: Finde ich nicht gut. Ich liebe Ton Steine Scherben, es gibt ganz tolle Lieder von denen. Aber ich stehe dann doch eher auf die, die nicht so mit dem politischen Vorschlaghammer kommen, wie »Keine Macht für Niemand« - das war ja auch eine Auftragsarbeit. Das ist mir dann doch irgendwie zu flach. Wen ich sehr liebe, ist Franz Josef Degenhardt. Dessen frühe Songs finde ich viel politischer als die, als er dann in die DKP ging und »Reiht euch ein in die neue Front« gemacht hat. Das war dann eine Zeit lang nicht mehr schön. Im Alter hat er diese beiden Seiten miteinander verbinden können, und das war dann wieder ganz toll. In meiner Jugend habe ich das viel gehört, diese flachen Polit-Parolen im Deutsch-Punk. Aber irgendwie hat das doch wenig Mehrwert, außer dass man sich dann irgendwie selber auf die Schulter klopft. Anfang der 2000er habt ihr bei dem Film »Die Erben der Scherben« mitgemacht. Und der Anspruch der Scherben war, die Leute zu erreichen und zu bewegen, auch Widerstand zu leisten. Und sie haben das bewusst mit einfachen Sätzen getan. Denen ging es ja nicht darum, sich selber auf die Schulter zu klopfen. Also seht ihr euch nicht wirklich als deren Erben? Dirk von Lowtzow: Also ich muss das absolut verneinen. Man ist da damals gefragt worden für diesen Film, aber ehrlich gesagt kann ich mich an den Film auch nicht erinnern. Ich muss echt gestehen, Ton Steine Scherben kenne ich kaum. Jan Müller: Mir fällt gerade noch ein ganz frühes Lied von den Scherben ein: »Warum geht es mir so dreckig«. Das ist auch schon direkt politisch, aber sehr persönlich. Vielleicht gar nicht so anders als so ein Song wie »Nie wieder Krieg!«. Dirk von Lowtzow: Die Leute, die bei »Nie wieder Krieg!« vorkommen, sagen doch eigentlich »Warum geht es mir so dreckig?« Die schauen in den Spiegel oder schreiben das an die angehauchte Scheibe. Und eigentlich ist doch »Nie wieder Krieg!« ein Hilferuf. Es ist die Frage: Warum geht’s mir so dreckig? Und kann es sein, dass es mir vielleicht irgendwann nicht mehr so dreckig geht? Außerdem ist es für mich auch ein Song, der sehr stark zwischen den Jahren spielt, wie man so schön sagt. Also irgendwo in dieser komisch-diffusen Zeit zwischen Weihnachten und Silvester und Neujahr. Es kommt ja auch ein Feuerwerk darin vor. Und dann denkt man an die vielen einsamen Leute, manche verzweifeln an sich selbst oder sind, wie der Protagonist der ersten Strophe, »abgeschabt«. Also irgendwie vielleicht auf Drogen oder Alkoholiker. Das sind ja alles Sachen, die man auch kennt, und deshalb kann man aus dem persönlichen Gefühlsreservoir schöpfen und das in diese Liedform bringen. Und indem man dann einen so stark aufgeladenen politischen Titel wählt, geht man über die reine Psychologie hinaus. Und dann ist Krieg natürlich auch ein sehr starkes Wort. Wenn man das singt und es mantraartig wiederholt, merkt man richtig, dass es durch diese Verbindung mit diesen harten Konsonanten und dem »ie« etwas mit einem macht. Also auch in der Form liegt durchaus etwas Politisches, und das finde ich sehr viel interessanter, als sich politisch zu bekennen und die üblichen Klischees zu reproduzieren. Jan Müller: Mir fällt gerade etwas ein, um mir selbst zu widersprechen. Es gibt schon gute politische Songs. Zum Beispiel »Beate Zschäpe hört U2« von der Antilopen Gang. Das finde ich schon sehr gut, weil das fast so eine journalistische aufklärerische Arbeit ist. Aber ich glaube, das liegt uns nicht so. Das geht dann auch besser mit mehr Worten, wie es im Hip-Hop möglich ist. Könnt ihr dann mit politischer Kunst etwas anfangen? Dirk von Lowtzow: Das kommt auf die Kunst an. Zum Beispiel das Zentrum für Politische Schönheit. Das ist ja sehr offensiv und sehr plakativ politisch. Dirk von Lowtzow: Von denen finde ich manche Aktionen ganz geglückt und manche ganz verunglückt. In der Kunst wird zurzeit ja sehr stark über Kollektivitäten nachgedacht und ich finde, da wird diese Kollektivität auch ein bisschen verklärt. Weil es natürlich oft auch grauenhafte Erfahrungen mit Kollektiven gibt: Hierarchien, Gruppendynamiken, Einschluss, Ausschluss und all so was. Und beim Zentrum für Politische Schönheit, muss ich ehrlich sagen, merkt man, dass das eine ziemlich totalitäre Veranstaltung ist. Noch mal zurück zu »Nie wieder Krieg!«. Ihr bezeichnet es als das schönste eurer bisherigen Alben, und es heißt ja, wenn es am schönsten ist, soll man aufhören. Müssen Fans jetzt Angst haben, dass dies das letzte Tocotronic-Album ist? Dirk von Lowtzow: Ach, die Angst muss man immer haben. Es ist immer ein Problem, dass man denkt, jetzt ist uns aber was besonders Tolles gelungen. Und damit stellt sich natürlich auch immer die Angst ein, wie es denn jetzt weitergehen soll. Das haben wir eigentlich seit dem Album »K.O.O.K.«. Vorher haben wir unsere Alben so zacki, zacki runterrecorded. Aber seitdem hat sich so ein bisschen dieser Werkcharakter aufgebaut. Also mal sehen - aber man darf sich auch nicht von dieser Angst lähmen lassen. Und wo wir gerade so viel über Kollektive gesprochen haben: Wir wollten mit dieser Bezeichnung »Unser schönstes Album bisher« auch noch mal herausstellen, was für eine wahnsinnige Arbeit die Leute, die mit uns zusammenarbeiten, für das Album geleistet haben. Der Produzent Moses Schneider, mit dem wir jetzt schon das siebte Mal zusammengearbeitet haben, hat sich dieses Mal noch mal selbst übertroffen mit seinen Ideen und wie er den ganzen Aufnahmeprozess geleitet hat. Es gibt natürlich dieses Bandgefüge, das ich vielleicht gar nicht als Kollektiv bezeichnen würde, sondern eher als eine Bande oder eine Gang. Und das Ganze hört dann auf oder geht fließend über zu den Leuten, die das hören und auch überhaupt erst möglich machen. Und dann bedeutet »Nie wieder Krieg!« für irgendjemanden, der das hört, vielleicht etwas. Und vielleicht ja auch etwas ganz anderes, das wir gar nicht intendiert haben. Und dann ist ja noch das erste Duett überhaupt auf einer Tocotronic-Platte auf dem neuen Album. Warum hat es so lange gedauert - und warum gerade mit Soap & Skin? Dirk von Lowtzow: Ich glaube, man hätte niemand anderes nehmen können. Das Stück schreit förmlich danach, dass da noch eine zweite Stimme dazukommt, auch wenn es kein Libretto für verteilte Stimmen ist. Aber wir hatten das Gefühl, dadurch kommt dann doch noch mehr Tiefe zustande. Und da wussten wir, das kann nur Anja Plaschg alias Soap & Skin sein, obwohl es natürlich noch viele andere tolle Musikerinnen und Sängerinnen gibt. Und sie hat das dann ja auch fast traumwandlerisch verkörpern können. Also vor zehn Jahren hätte es diesen Song so nicht gegeben? Dirk von Lowtzow: Das ist schwer zu sagen. Es gibt ihn jetzt, und darüber bin ich schon ganz froh. (lacht) Aber ich glaube, ich weiß, worauf du hinauswillst, weil wir das Gespräch so schön drehen um diese Themenkomplexe Politizität, Kollektive und so. Weil wir als Band so nah zusammen sind, haben wir natürlich das Glück der größtmöglichen Autonomität. Also keiner quatscht uns rein, und wir können machen, was wir wollen. Aber natürlich birgt das auch die Gefahr der Hermetik. Also dass man sich irgendwann selbst genug ist. Jan Müller: Ich finde das irgendwie sehr schön, dass das bei uns erst so spät kommt, denn oft hat diese Feature-Kultur ja was sehr Verzweifeltes. Nach dem Motto: Wen können wir mit reinnehmen, um noch ein paar Leute mehr auf uns aufmerksam werden zu lassen? So wollten wir das halt nicht machen. Unsere ersten Alben haben wir ja bewusst sehr autark gemacht. Später, angefangen mit »K.O.O.K«, kamen dann Keyboards und Streicher dazu, und das hat sich dann immer weiter geöffnet. Dabei liegt es so nahe, deiner tiefen Stimme eine zweite hinzuzufügen. Dirk von Lowtzow: Ja, aber vielleicht hätte man das Stück nicht früher schreiben können. Oder vielleicht braucht man auch ein gewisses Alter dafür. Und vielleicht hätte Soap & Skin es auch nicht so empfinden können wie jetzt. Gerade weil diese Vokabel »Schlund« das Stück so beherrscht, diese Idee von einem Abgrund - das hat natürlich auch was mit Soap & Skin als Künstlerin zu tun. Ich erinnere mich an ein Video von ihr von ihrer letzten Platte, wo sie an einem Krater irgendwo auf Sizilien ist. Hach, ich denke, irgendwie ist alles immer zu dem Zeitpunkt richtig, zu dem es passiert. Und das ist der Zauber, der der Sache innewohnt.
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  • Folge vom 26.04.2021
    »Mein Mandat ist euer Mandat«
    Sie leben in der Nähe des Braunkohletagebaus Garzweiler. Inwiefern sind Sie persönlich vom Kohleabbau betroffen? Auf zwei Ebenen: Auf der einen merke ich, seit ich politisch aktiv geworden bin, immer mehr, wie wichtig es ist, sich mit denen anzulegen, die aus fossilen Energieträgern Strom erzeugen. Das kann auch immer wieder weh tun, wenn man dabei Repressionen ausgesetzt ist. Auf der anderen Seite erlebe ich, dass diese andere Welt, von der wir träumen, sehr wohl möglich ist, weil wir die schon selbst leben. Was für eine andere Welt meinen Sie? Eine Welt, in der wir die Grenzen unserer Erde respektieren und das, was die Ökosysteme uns geben können, sozial gerecht teilen. In der wir Klimamaßnahmen daran ausrichten, dass es wirklich allen Menschen gut geht und nicht nur uns im globalen Norden. Dafür ist es wichtig, dass nicht länger ein sehr kleiner weißer, reicher und männlicher Teil der Weltbevölkerung über das Schicksal aller entscheidet. Und wie leben Sie die neue Welt? In der Klimabewegung, beispielsweise im Bündnis Ende Gelände, wurden zum Beispiel Strukturen geschaffen, die für eine andere, solidarische Gesellschaft Vorbild sein können. Hier werden im Konsens Entscheidungen getroffen und es wird versucht, Feminismus ernsthaft zu leben. Daraus schöpfe ich meine Kraft und meinen Willen weiterzukämpfen. Gibt es Menschen, die ihre Dörfer wegen des Kohleabbaus verlassen? Ja, das erleben wir gerade in Lützerath. Das ist ein Dorf hier am Tagebau Garzweiler. Der Bagger steht jetzt schon ungefähr 200 Meter davor. Im Herbst hat RWE angefangen, dort die Bäume zu roden und hat dann um Lützerath herum alles zerstört. Im Januar haben sie begonnen, Häuser im Ort zu zerstören. Wie sieht es dort jetzt aus? Ein Bauernhof und die meisten Häuser stehen noch. Es wurde begonnen, im Lützerather Wald Baumhäuser zu bauen. Es gibt dort Menschen, die versuchen, sich nicht von RWE einschüchtern zu lassen und die bleiben wollen. Besonders ein Bauer, der sagt: Ich gehe hier nicht weg und ich kämpfe jetzt darum, auch vor Gericht. Das finde ich sehr mutig und beeindruckend. Gleichzeitig ist es hart zu erleben, wie immer mehr Bewohner bereits ihre Häuser verlassen. Was für Folgen hat das? Der Zusammenhalt im Dorf ist sehr gefährdet, weil es Konflikte gibt zwischen denen, die gehen und denen, die bleiben wollen. Solidarische Strukturen werden von außen zerstört. Übrigens erlebt man das auch in anderen Regionen der Welt, wo es Tagebaue gibt. Zum Beispiel werden im Norden Kolumbiens, wo Steinkohle abgebaut wird, Dörfer zwangsumgesiedelt, und dort gibt es ähnliche Konflikte. Ich möchte jetzt auch politisch gegen diese Verflechtung von fossiler Industrie und Politik kämpfen. Sie wollen diesen Kampf für den Kohleausstieg jetzt auch im Bundestag führen, kandidieren auf Platz 20 der Grünen in Nordrhein-Westfalen. Waren Sie schon mal bei den Grünen aktiv? Ja, da war ich 15 Jahre alt. Ich habe damals nach einer Gruppe gesucht, wo ich zu allen möglichen Themen aktiv sein konnte, und in meiner Stadt gab es die Grüne Jugend. Da habe ich unglaublich viel gelernt: wie politisch gearbeitet wird, wie Kampagnen gemacht werden und wie ich Öffentlichkeitsarbeit koordiniere. Der Listenplatz 20 ist ziemlich weit hinten. Nein. Das ist ein sehr sicherer Platz. Nach den momentanen Hochrechnungen werde ich locker in den Bundestag ziehen. Was für Reaktionen kamen aus der Klimabewegung auf Ihre Kandidatur? Meine Bezugsgruppen waren alle vorher informiert. Was ich schön finde, ist, dass sehr junge Menschen zu mir kommen und sagen: Das ist cool. Das bestärkt mich in meiner Entscheidung. Zudem melden sich auch sehr viele Umweltgruppen: auf internationaler, Bundes- und lokaler Ebene. Sie machen konkrete Vorschläge. Viele Initiativen nehmen also mein Angebot schon an, denn ich habe gesagt: Mein Mandat ist euer Mandat, wir machen gemeinsam im Bundestag Politik. Mein Büro wird immer offen stehen für Umweltgruppen und Bündnisse. Ist es für die Klimabewegung nicht ein Verlust, wenn Sie sich dort künftig weniger einbringen können? Was ich an Bündnissen wie Ende Gelände liebe, ist, dass sie viel Wert auf die Weitergabe von Wissen legen, damit es nie an einzelnen Personen hängt. Ich freue mich immer unglaublich, wenn ich sehe, wie die neue Generation von Frauen die Arbeit auf ihre ganz eigene Art macht. Die Bewegung wird von so vielen Menschen getragen, deswegen sollte sie auch von so vielen wie möglich repräsentiert werden. Und ich bin ja nicht weg. Im Bundestag werde ich einfach auf eine andere Art weiterarbeiten, aber mit den gleichen Zielen. Es ist wichtig, dass wir in der Bewegung auf vielfältige Weise solidarisch arbeiten. Ende Gelände braucht auch gute parlamentarische Beobachter bei Aktionen. Und ich freue mich schon sehr auf diese Aufgabe.
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  • Folge vom 25.03.2021
    Kubas Kampf gegen den Klimawandel
    Seit über 60 Jahren ächzt Kuba unter Wirtschaftssanktionen. Dass das Land in der »Straße der Hurricanes« liegt, kommt erschwerend hinzu. Aber seine geographische Lage ist nur ein Aspekt der drohenden Klimakatastrophe. Max Böhnel und Andreas Knobloch haben sich vor Ort umgehört, wie kubanische Klimapolitik aussieht, sowohl aus regierungsamtlicher Sicht wie auch bei unabhängigen Initiativen. Die Audioreportage der beiden nd-Kollegen beginnt bei einem kleinen Papierrecycling-Unternehmen in einem Hinterhof mitten in Havanna.
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  • Folge vom 19.03.2021
    »Ich war wie ein Mensch zweiter Klasse«
    Frau Dornheim, Sie kandidieren für die Berliner Grünen für den Bundestag und haben vor Kurzem öffentlich gemacht, dass Sie schwanger sind. Wieso? Es hat einen guten Grund: Ich sehe meine Parteikolleg*innen seit einem Jahr quasi auch nur vom Scheitel zur Schulter auf Videokonferenz-Bildschirmen. Die Aufstellungsversammlung für die Landesliste ist bei uns am Sonntag. Wir müssen dort persönlich erscheinen. Ich wollte einfach nicht, dass wenn mich dann alle sehen, sie überrascht sind und nur noch über meinen Bauch reden. Deswegen mache ich meine Schwangerschaft öffentlich und erkläre auch, dass es nicht total wahnsinnig ist, hochschwanger in den Wahlkampf zu gehen, sondern dass ich mir was dabei gedacht habe. Was für Reaktionen haben Sie darauf bekommen? Die waren durch die Bank sehr positiv und sehr schön. Es gab viele Glückwünsche und auch ein paar Nachrichten von Leuten, gerade auch Frauen, die geschrieben haben, dass sie es total beeindruckend finden und sich freuen, dass es so Leute gibt wie mich, die mit dem Kopf durch die Wand gehen. Es gab auch eine Nachricht von einem Vater, der sich freut, dass es auch andere Männer gibt, die volle zwölf Monate Elternzeit machen – mein Partner nämlich. Zudem gab es ein oder zwei Nachrichten von Bundestagsabgeordneten, die mir gleich Unterstützung angeboten haben und geschrieben haben, dass es einen Still- und Kinderraum gibt im Bundestag. Sie haben gerade gesagt, ihr Partner wird zwölf Monate Elternzeit nehmen. Wie lange planen Sie in Elternzeit zu gehen? Tatsächlich gar nicht. Es gibt ja den Mutterschutz vor und nach der Geburt, den möchte ich schon, so gut es geht, ausschöpfen. Also ein paar Wochen vor und zwei Monate nach der Geburt. Da möchte ich mir sehr gerne ein bisschen intensiver Familienzeit nehmen. Anschließend möchte ich mich in den Wahlkampf stürzen und hoffentlich, wenn alles gut geht, in den Bundestag einziehen. Sie bekommen bald ihr zweites Kind. Aber eins ihrer politischen Herzthemen ist die Streichung des Paragrafen 218, der Abtreibung grundsätzlich unter Strafe stellt. Es ist kein Aber. Ein Großteil der Frauen, die sich gegen eine Schwangerschaft entscheiden im Leben, hat schon Kinder oder bekommt noch welche. Das ist für mich kein Widerspruch und ein Teil des großen elementaren Kampfes für gute reproduktive Rechte. Also für das Recht, selbst bestimmen zu können, wann und wie man Kinder bekommt – oder auch nicht. Und Schwangerschaftsabbrüche legal und sicher zu ermöglichen, ist für mich ein ganz essenzieller Teil von Gleichberechtigung. Schwangerschaftsabbrüche sind in Deutschland möglich, aber, wie Sie gerade gesagt haben, offiziell ist es immer noch ein Straftatbestand. Was ist problematisch daran? Ich habe nicht nur über meine Schwangerschaft öffentlich gesprochen. Ich habe auch schon vor ein paar Jahren öffentlich darüber geschrieben und gesprochen, dass ich auch schon eine Schwangerschaft abgebrochen habe. Als Feministin war mir immer klar, dass die Legalisierung von Abbrüchen ein wichtiges Thema ist. Aber als ich selber in der Situation war, hat es mich noch mal ganz anders erwischt. Jedes Mal, wenn ich daran denke, dass es immer noch im Strafgesetzbuch geregelt ist, wo Mord und Raubüberfall geregelt sind, werde ich einfach nur wahnsinnig wütend. Warum? Es gibt kein Gesetz, das in das Leben von Männern so eingreift, wie es die deutsche gesetzliche Lage zum Schwangerschaftsabbruch im Fall von Frauen macht. Als ich zu diesem Beratungsgespräch mit einer wildfremden Person gehen und dann drei Tage warten musste – weil als Schwangere, in diesem Umstand, kann man ja quasi meiner Entscheidung nicht vertrauen, sondern muss mir eine Bedenkfrist auferlegen –, habe ich mich so ohnmächtig und bevormundet gefühlt. Wie ein Mensch zweiter Klasse. Ich hoffe sehr, dass ich noch erlebe, dass dieser Paragraf abgeschafft wird und dass dieser 150 Jahre alte Kampf bald zu Ende geht. Der Paragraf 219a verbietet Ärzt*innen umfassend über Abtreibungen zu informieren, trotz Reform durch die GroKo. Diese Reform ist immer noch, mit Verlaub, eine Verarschung. Jetzt dürfen Ärztinnen und Ärzte auf ihrer Website schreiben, dass sie Abbrüche vornehmen, aber keinen Piepston weiter dazu. Und auch da wieder, es gibt keinen anderen medizinischen Eingriff, über den man nicht informieren darf. Also erst recht als Arzt/Ärztin. Wenn ich mir die Mandeln entfernen lasse, kann ich auch mich online bei der Praxis meines Vertrauens irgendwie darüber informieren, wie diese Operation abläuft. Also was gibt es für Risiken, was gibt es für Nebenwirkungen. Wir leben im 21. Jahrhundert, da ist es einfach Standard, dass ich diese Informationen auch bei dem und derjenigen finde, die es durchführt. Und das ist für Gynäkolog*innen und Ärzt*innen, die Abbrüche durchführen, immer noch verboten. Das ist ein Maulkorb. Und wenn dieser Paragraf von konservativer Seite als »Werbeverbot« betitelt wird, ist es auch einfach wirklich eine Beleidigung für alle Frauen und Menschen mit Uterus. Denn das suggeriert, wenn man über Schwangerschaftsabbrüche informiert, dann ist das so einladend und dann möchte ich das. Wie wenn ich eine Werbung für einen Schokoriegel sehe. Da zeigt sich ein Frauen- und Menschenbild, das einfach vor Verachtung strotzt.
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