Niemand mag Störungen. Fahrleitungsstörungen oder Störgeräusche sind ebenso unbeliebt wie «Klimakleber», die den Strassenverkehr stören. Der Philosoph Dieter Thomä sagt aber: Störmomente gehören nicht nur zum Leben, sondern bringen uns manchmal entscheidend weiter. Doch was macht Störung produktiv?
Angesichts komplexer und krisenbehafteter Zeiten keimt in vielen der Wunsch nach einer möglichst störungsfreien Welt, nach reibungslosen Abläufen und vertrauten Schemen. So verständlich der Wunsch, so verfehlt ist er, sagt Dieter Thomä, bis vor kurzem Professor für Philosophie an der Universität St. Gallen. In seinem Buch «Puer Robustus. Eine Philosophie des Störenfrieds» hat er sich bereits 2016 intensiv mit der Figur des Querdenkers, Aufwieglers und Querulanten befasst. Für ihn gehören diese Figuren zu jeder Ordnung und namentlich zur Demokratie. Politische Aufbrüche der Moderne werden selten vom Zentrum der Macht, sondern meist von den Rändern her angestossen – nicht zuletzt von Menschen mit Ideen, die als verrückt abgestempelt wurden. Letztlich ist auch die Philosophie in ihrem Ursprung nichts anderes als der Versuch, Bisheriges zu stören und an den Grundfesten unserer Überzeugungen zu rütteln. Doch wann ist der Sand im Getriebe produktiv – und wann wirkt er einfach nur zersetzend? Barbara Bleisch hakt nach.
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Vertiefende Gespräche mit herausragenden Persönlichkeiten aus Kultur, Wissenschaft und Politik. Die Sternstunde Philosophie vermittelt lebensnahe Denkanstösse zu zentralen Fragen unserer Zeit.
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Folge vom 23.09.2023Dieter Thomä – Produktives Stören bringt die Welt voran
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Folge vom 02.09.2023Corine Pelluchon – Hoffnung angesichts der Klimakrise?Die Folgen des Klimawandels und der Naturzerstörung machen vielen Angst. Wie schafft man es, trotz Klimakrise hoffnungsvoll in die Zukunft zu blicken? Und wie könnte eine ökologisch nachhaltige Welt aussehen? Darüber spricht Yves Bossart mit der französischen Philosophin Corine Pelluchon. Hoffnung ist das Gegenteil von Optimismus, findet die französische Philosophin und Professorin Corine Pelluchon. Wahre Hoffnung entstehe aus Verzweiflung. Nur dann sei ein radikaler Neuanfang möglich, meint Pelluchon, die selbst jahrzehntelang unter Depressionen litt. Angesichts der Klimakrise fordert sie ein neues Verhältnis zur lebendigen Natur, zu Erde, Tier und Mensch: weg von der Herrschaft, hin zu mehr Wertschätzung. Der Mensch sei ein Stück Natur, inmitten von Natur, und als solcher abhängig und verletzlich. Diese Demut helfe der Menschheit, sich neu zu erfinden. Wie eine solche ökologische Revolution aussehen könnte, warum es dafür eine neue Aufklärung braucht und was das alles mit Tod und Transzendenz zu tun hat, darüber spricht die bekennende Veganerin mit Yves Bossart.
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Folge vom 26.08.2023Lorraine Daston – Die Regeln unseres LebensKeiner mag sie. Doch in Wahrheit prägen sie unsere gesamte Existenz: Regeln. Ohne sie gäbe es keine Wissenschaft, keinen Staat, keine Sprache, kein Sport. Gespräch mit der Wissenschaftshistorikerin Lorraine Daston über die Notwendigkeit von Regeln – und die Befreiung, sie immer wieder zu brechen. Auch wenn sie meist nerven: Regeln sind die wahren Retterinnen unserer Welt. Ohne sie könnten wir weder denken noch sprechen. Weder spielen noch kochen. Gäbe es weder Mathematik noch Kunst. Über das scheinbar allmächtige Netz von Regeln, das der Mensch über die Wirklichkeit wirft, hat Lorraine Daston ein Leben lang nachgedacht. Und als eine der bedeutendsten Wissenschaftshistorikerinnen der Gegenwart nun eine Weltgeschichte der Regeln geschrieben. Ihre Einsichten und Fragen führen direkt ins Herz unserer Gegenwart: Welchen Regeln gehorcht künstliche Intelligenz – welchen gerade nicht? Gibt es für jede Regel eine Ausnahme? Was unterscheidet eine Faustregel von Faustrecht, was Fakten von Fake News? Und ist der Mensch am Ende das einzige uns bekannte Wesen, das Regeln immer wieder selbstbestimmt überschreitet, bricht, gar revolutioniert? Im Gespräch mit Wolfram Eilenberger legt Daston die Tiefenstrukturen unseres Daseins frei – und befördert gleichzeitig höchst irreguläre Einsichten ans Licht.
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Folge vom 01.07.2023Miranda Fricker – Wissen und MachtSprache ist mächtig: Sie prägt unsere Wahrnehmung, zementiert Machtverhältnisse und kann Beziehungen verändern. So kann eine Entschuldigung eine Freundschaft retten. Miranda Fricker hat Bahnbrechendes beigetragen zur Frage, wie Sprache und Wissen die Welt verändern. Dass Wissen und Macht einander beeinflussen und durchdringen, ist keine neue Einsicht. Die Philosophie hat aber lange gebraucht, um die ethischen Konsequenzen dieser Einsicht zu verstehen. Miranda Frickers Buch «Epistemische Ungerechtigkeit. Macht und die Ethik des Wissens» hat 2007 für Furore gesorgt. Die einflussreiche Philosophin, Professorin an der New York University, zeigt darin auf, dass wir über ein Sprachrepertoire verfügen müssen, um gewisse Missstände überhaupt erst anprangern zu können. Solange etwa «Stalking» als Begriff nicht existierte, gelang es den Opfern nicht, deutlich zu machen, was sie bedroht. Dabei hängt es nicht zuletzt davon ab, wer spricht, ob wir ihm oder ihr Glauben schenken: So würden wir einer randständigen Person in schmutzigen Kleidern kaum glauben, wenn sie erzählt, sie sei bestohlen worden. Stereotype und Vorurteile tragen so zu Missständen bei, die wir erst erkennen, wenn wir genau über Sprache, Wissen und Macht nachdenken. Worte sind aber auch mächtig, wenn es darum geht, Missstände wieder zu beheben. Ein Dank oder eine Entschuldigung zur rechten Zeit können alles verändern. Barbara Bleisch trifft eine der faszinierendsten Philosophinnen unserer Zeit zum Gespräch.