Der wunderbare Titel der heutigen Episode lautet: »Die Natur kennt feine Grade«. Leider stammt er nicht von mir, sondern ist der Titel des neuen Buches meines heutigen Gasts, Prof. Frank Zachos. Aufmerksame Hörer werden sich an Frank erinnern, dazu aber mehr später.
Frank Zachos ist seit 2011 Wissenschaftler am Naturhistorischen Museum in Wien und außerdem externer Professor an der Universität in Bloemfontein in Südafrika. Er hat Biologie, Philosophie und Wissenschaftsgeschichte studiert und beschäftigt sich außer mit Zoologie und Evolutionsbiologie auch mit theoretischen und philosophischen Aspekten der Biologie.
In dieser Episode beschäftigen wir uns mit der Frage, welche Beiträge Naturwissenschaft im Allgemeinen und Biologie im Besonderen bei fundamentalen Fragen des Menschseins leisten kann. Wir beginnen dabei mit den bekannten Kant'schen Fragen:
Was kann ich wissen? (Erkenntnistheorie)
Was darf ich hoffen? (Religionsphilosophie)
Was soll ich tun? (Ethik / Moralphilosophie)
Was ist der Mensch? (Anthropologie im weitesten Sinne)
Und zu allen Fragen gibt es, wir wir erkunden werden, eine biologische Dimension. Zahlreiche Fragen werden aufgeworfen: Wie unterscheiden sich Mensch und Tier? Welche Rolle spielt Evolution in den verschiedensten Bereichen unseres Lebens, von der Biologie, über die Erkenntnis bis zur Kultur? Was können wir für Moral und Ethik von der Biologie lernen? Was ist die evolutionäre Erkenntnistheorie (die besonders auch in Österreich wichtige Vertreter hatte)? Wir blicken hier zurück auf Konrad Lorenz und Rupert Riedl.
Kann man der Philosophie in den Naturwissenschaften entkommen, oder holt sie uns immer ein?
»Man kann die Philosophie ignorieren, man kann ihr aber nicht entkommen«
Was ist der Unterschied zwischen unwissenschaftlichen und außerwissenschaftlichen Fragestellungen? Was ist metaphysischer Realismus, und warum lässt sich dieser wissenschaftlich nicht begründen. Welche Rolle spielt systemisches Denken in Ergänzung zum Reduktionismus für die komplexen Herausforderungen der Zeit und warum kann biologisches Denken ebenfalls hilfreich sein?
»Wer will was Lebendigs erkennen und beschreiben,
Sucht erst den Geist herauszutreiben,
Dann hat er die Teile in seiner Hand,
Fehlt, leider! nur das geistige Band.«,
Goethe, Faust I
Behaupten wir oft mehr zu wissen und zu verstehen als wir wirklich tun? Warum ist intellektuelle Bescheidenheit gerade heute von zentraler Bedeutung.
»Die Wissenschaft ist gewissermaßen Opfer ihres eigenen Erfolgs geworden«
Gibt es Kränkungen der Menschheit durch Wissenschaft? Gibt es bei manchen oder gar vielen Menschen eine Art der Realitätsfurcht?
Was hat »Follow the Science« ausgelöst, also vor rund 100 Jahren Euthanasie und die Verbesserung der Erbsubstanz des Menschen als Stand des Wissens galt?
»Wann immer man Moral mit wissenschaftlichen Erkenntnissen letztbegründen will, wird es ganz gefährlich«
Frank erinnert dabei wieder an Kant:
»Es gibt kein Sollen in der Natur.«
Womit sich die Frage stellt, was ein naturalistischer Fehlschluss ist, und wie wir ihn vermeiden können?
»Wer zwingt uns natürlich zu sein?«
Oder wie es Hans Rosling ausdrückt:
»Have you heard people say that humans used to live in balance with nature? […] There was a balance. It wasn’t because humans lived in balance with nature. Humans died in balance with nature. It was utterly brutal and tragic.«
Kehren wir zurück zur Erkenntnis: was können wir aus der Biologie über Erkenntnisfähigkeit lernen? Konkreter gedacht am Beispiel der evolutionären Erkenntnistheorie sowie den Kant'schen a prioris.
»Das was im Idividuum a priori ist (also von Geburt an), ist eigentlich doch etwas erlerntes, aber nicht individuell erlernt, sondern evolutionär/stammesgeschichtlich. Das Kant'sche a priori wird in der evolutionären Erkenntnistheorie zu einem phylogenetischen oder evolutionären a posteriori.«
Nicht zuletzt diskutieren wir auch über die Bedeutung von Religion für die Menschen. Verschwindet Religion langsam, wenn unsere Erkenntnisse über die Welt zunehmen, oder passiert eher das Gegenteil?
Und damit reißen wir die Fragen die in Franks Buch aufgeworfen werden, nur an. Daher an alle Zuhörer dieser Episode, die Empfehlung, sich das Buch zu besorgen und weiterzulesen.
»Wir können mittlerweile Dinge beschreiben, die wir uns gar nicht mehr vorstellen können«
Referenzen
Frank Zachos
Frank Zachos im Naturhistorischen Museum in Wien
Frank Zachos, Die Natur kennt feine Grade (2025)
Andere Episoden
Episode 118: Science and Decision Making under Uncertainty, A Conversation with Prof. John Ioannidis
Episode 106: Wissenschaft als Ersatzreligion? Ein Gespräch mit Manfred Glauninger
Episode 98: Ist Gott tot? Ein philosophisches Gespräch mit Jan Juhani Steinmann
Episode 92: Wissen und Expertise Teil 2
Episode 85: Naturalismus — was weiß Wissenschaft?
Episode 83: Robert Merton — Was ist Wissenschaft?
Episode 75: Gott und die Welt, ein Gespräch mit Werner Gruber und Erich Eder
Episode 55: Strukturen der Welt
Episode 48: Evolution, ein Gespräch mit Erich Eder
Episode 41: Intellektuelle Bescheidenheit: Was wir von Bertrand Russel und der Eugenik lernen können
Episode 33: Naturschutz im Anthropozän – Gespräch mit Prof. Frank Zachos
Fachliche Referenzen
Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft (1781)
Immanuel Kant, Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können (1783)
Konrad Lorenz, Die acht Todsünden der zivilisierten Menschheit, Piper (1996)
Rupert Riedl, Evolution und Erkenntnis, Piper (1985)
Rupert Riedl, Strukturen der Komplexität: Eine Morphologie des Erkennens und Erklärens, Springer (2000)
Johann Wolfgang von Goethe, Faust I (1808)
Hans Rosling, Factfulness, Sceptre (2018)
Konrad Lorenz Artikel: Die Lehre Kants a priori im Lichte der modernen Biologie.
Dave Grossman, On Killing, Back Bay Books (2009)

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132 Folgen
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Folge vom 04.05.2025123 — Die Natur kennt feine Grade, Ein Gespräch mit Prof. Frank Zachos
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Folge vom 17.04.2025122 — Komplexitätsillusion oder Heuristik, ein Gespräch mit Gerd GigerenzerAuch heute freue ich mich wieder darüber, einen äußerst kompetenten und prominenten Gast vorstellen zu dürfen: Prof. Gerd Gigerenzer. Das Thema ist eines, das uns seit einiger Zeit begleitet, und auch noch weiter begleiten wird, denn es gehört zu den wesentlichsten Fragen der heutigen Zeit. Werden wir von der stetig steigenden Komplexität in unserer Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft überrollt, oder gelingt es, Mechanismen zu entwickeln, trotzdem kluge und resiliente Entscheidungen zu treffen? Entscheidungen, die uns auch helfen, mit komplexen Risiken umzugehen? Gerd Gigerenzer war unter anderem langjähriger Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, ist Direktor des Harding Center for Risk Literacy an der Universität Potsdam, Partner von Simply Rational - The Institute for Decisions und Vizepräsident des European Research Council (ERC). Er ist ehemaliger Professor für Psychologie an der Universität von Chicago und John M. Olin Distinguished Visiting Professor, School of Law an der Universität von Virginia. Darüber hinaus ist er Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, der Deutschen Akademie der Wissenschaften und der British Academy sowie Ehrenmitglied der American Academy of Arts and Sciences und der American Philosophical Society. Er hat unzählige Preise gewonnen sowie zahlreiche Bücher geschrieben, die nicht nur inhaltlich höchst relevant sondern zudem auch noch sehr zugänglich für eine breite Leserschicht sind. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen: Entscheidungen unter Unsicherheit und Zeitbeschränkung Risikokompetenz und Risikokommunikation Entscheidungsstrategien von Managern, Richtern und Ärzten Und genau über diese Themen werden wir uns in der Episode unterhalten. Wie geht man in Situationen großer Unsicherheit mit Daten und Informationen um? »Je größer die Unsicherheit ist, desto mehr Informationen muss man ignorieren.« Was ist eine Heuristik, und welche Heuristiken wenden wir erfolgreich in welchen Situationen an? »In Situationen von Unsicherheit, verlassen sich Menschen nicht auf die ganze Vergangenheit, sondern auf die jüngste Vergangenheit — das nennt man recency Heuristik.« Warum führen mehr Daten nicht immer zu besseren Entscheidungen? »Ein Datenpunkt, gut gewählt, erlaubt [in vielen Fällen] bessere Vorhersagen als Big Data« Was ist Intuition und unter welchen Umständen ist intuitives sinnvoller als vermeintlich rationales Entscheiden? »Intuition ist keine Willkür. Intuition ist gefühltes Wissen, das auf jahrelanger Erfahrung beruht.« Was ist von den neuen Theorien der Rationalität, z. B. dem System 1 und 2 von Kahnemann zu halten? »The abject failure of models in the global financial crisis has not dented their popularity among regulators.«, Mervyn King Was ist defensives Entscheiden, und warum ist es eines der größten Probleme unserer modernen Welt? »Der Arzt ist nicht in einer Situation, dem Patienten das Beste zu empfehlen. Viele Ärzte fürchten, dass die Patienten klagen, insbesondere, wenn etwas unterlassen wurde. Die Patienten klagen nicht, wenn unnötige Operationen vorgenommen wurden.« Weniger kann oft mehr sein: »Viele Menschen denken — auch in der Wissenschaft — mehr ist immer besser.« Dabei gilt in den meisten Fällen, gerade auch dort, wo wir häufig versuchen, komplexe Modelle anzuwenden: »Je größer die Unsicherheit ist, umso einfacher muss man die Regulierung [oder das Modell] machen.« Eine Erkenntnis, die im Grunde jedem klar ist, der sich mit der Steuerung komplexer Systeme auseinandersetzt. Warum handeln wir stetig dagegen? »Wir brauchen eine Welt, die den Mut hat zur Vereinfachung.« Und dann gibt es noch den Aspekt der Rückkopplung von (schlechten) Modellen auf die Welt, die sie vermeintlich beschreiben oder vorhersagen, und wir kommen leicht in einen Teufelskreis der zirkulären und selbstverstärkenden Fehler. Wie lassen sich diese vermeiden? Was wird die Folge sein, wenn diese Formen der Modellierung und Verhaltenssteuerung auf eine immer totalitärere und total überwachte Gesellschaft trifft? Entwickeln wir uns aber in der Realität mit künstlicher Intelligenz, Large Language Models und IT-getriebener Automatisierung, aber nicht gerade ins Gegenteil? Eine Welt, deren Entscheidungen von immer komplexeren Systemen intransparent getroffen werden, wo niemand mehr nachvollziehen oder bewerten und in Wahrheit verantworten kann, ob diese Entscheidungen sinnvoll sind? Denken wir beispielsweise an Modelle, die Rückfallwahrscheinlichkeiten von Straftätern bewerten. »Viele Menschen lächeln über altmodische Wahrsager. Doch sobald die Hellseher mit Computern arbeiten, nehmen wir ihre Vorhersagen ernst und sind bereit, für sie zu zahlen.« Zu welcher Welt bewegen wir uns hin? Zu einer, in der wir radikale Unsicherheit akzeptieren und entsprechen handeln, oder einer, wo wir uns immer mehr der Illusion von Kontrolle, Vorhersagbarkeit und Steuerbarkeit verlieren? »In einer Welt, in der Technik (vermeintlich) smart wird, brauchen wir vor allem eines, nämlich Menschen, die auch smart werden. Also Menschen, die mitdenken, die sich nicht zurücklehnen und konsumieren; die sich nicht auf das reduzieren lassen, was man ihnen empfiehlt.« Und zum Ende macht Prof. Gigerenzer noch den wichtigsten Aufruf der heutigen Zeit: Mitdenken! Denn es gilt: »The world is inherently uncertain and to pretend otherwise is to create risk, not to minimise it.«, Mervyn King Referenzen Andere Episoden Episode 121: Künstliche Unintelligenz Episode 118: Science and Decision Making under Uncertainty, A Conversation with Prof. John Ioannidis Episode 112: Nullius in Verba — oder: Der Müll der Wissenschaft Episode 109: Was ist Komplexität? Ein Gespräch mit Dr. Marco Wehr Episode 107: How to Organise Complex Societies? A Conversation with Johan Norberg Episode 106: Wissenschaft als Ersatzreligion? Ein Gespräch mit Manfred Glauninger Episode 99: Entkopplung, Kopplung, Rückkopplung Episode 92: Wissen und Expertise Teil 2 Episode 80: Wissen, Expertise und Prognose, eine Reflexion Episode 79: Escape from Model Land, a Conversation with Dr. Erica Thompson Prof. Gerd Gigerenzer Prof. Gigerenzer amd MPIB-Berlin Fachliche Referenzen Gerd Gigerenzer, Bauchentscheidungen: Die Intelligenz des Unbewussten und die Macht der Intuition, Goldmann (2008) Gerd Gigerenzer, Das Einmaleins der Skepsis: Über den richtigen Umgang mit Zahlen und Risiken, Piper (2015) Gerd Gigerenzer, Risiko: Wie man die richtigen Entscheidungen trifft, Pantheon (2020) Gerd Gigerenzer, Klick: Wie wir in einer digitalen Welt die Kontrolle behalten und die richtigen Entscheidungen treffen, Bertelsmann (2021) Gerd Gigerenzer, Smart Management: Mit einfachen Heuristiken gute Entscheidungen treffen, Campus (2025) Daniel Kahnemann, Schnelles Denken, langsames Denken, Siedler Verlag (2012) Gerd Gigerenzer, The rationally wars: a personal reflection, BPP (2024) Konstantinos Katsikopoulos, Gerd Gigerenzer et al, Transparent modeling of influenza incidence: Big data or a single data point from psychological theory?, International Journal of Forecasting (2022) Mervyn King, John Kay, Radical Uncertainty, Bridge Street Press (2021) Rory Sutherland, Alchemy, WH Allen (2021) Peter Kruse, next practice. Erfolgreiches Management von Instabilität. Veränderung durch Vernetzung, Gabal (2020) John P. Ioannidis, Forecasting for COVID-19 has failed, International Journal of Forecasting (2022)
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Folge vom 02.04.2025121 — Künstliche UnintelligenzIn dieser Folge steht das Thema »Künstliche Unitelligenz« im Mittelpunkt – ein Begriff, der aus einem Artikel aus dem Spectator stammt: Britain has become a pioneer in Artificial Unintelligence. Was genau verbirgt sich hinter dieser Idee? »Artificial Unintelligence is the means by which people of perfectly adequate natural intelligence are transformed by policies, procedures and protocols into animate but inflexible cogs. They speak and behave, but do not think or decide.« Wie werden aus Menschen mit natürlicher Intelligenz bloß unflexible Rädchen? Wir reflektieren die zunehmende Strukturierung und Standardisierung in Organisationen, um mit wachsender gesellschaftlicher Komplexität umgehen zu können. Ein Ausgangspunkt der Episode ist die Frage, warum wir in immer mehr Organisationen eine strukturelle und individuelle Inkompetenz erleben? Ein Zitat aus dem genannten Artikel fasst es treffend zusammen: »‘I didn’t find anything in common in these cases,’ I said, ‘except the stupidity of your staff. I expected him to get angry, but he maintained a Buddha-like calm. ‘Oh, I know,’ he replied, ‘but that is the standard expected now.’« Wie konnte es so weit kommen? Liegt es an der Industrialisierung, die laut Dan Davies in The Unaccountability Machine besagt: »A very important consequence of industrialisation is that it breaks the connection between the worker and the product.« Oder hat es damit zu tun, wie wir mit Überwältungung durch Information umgehen. »When people are overwhelmed by information, they always react in the same way – by building systems.« Sind Menschen, die individuell denken, in solchen Systemen eher hinderlich als hilfreich? Doch was passiert, wenn komplexe Probleme auftreten, die Flexibilität und Kreativität erfordern? Sind unsere Organisationen überhaupt noch in der Lage, mit unerwarteten Situationen umzugehen, oder arbeiten sie nur noch »maschinenhaft« nach Vorgaben – und das mit einem Maschinenverständnis des 19. Jahrhunderts? Ist die Stagnation, die wir seit Jahrzehnten spüren, ein Symptom dieses Systemversagens? Und wie hängt das mit der sogenannten »Unaccountability Machine« zusammen, die Davies beschreibt und die man im Deutschen vielleicht als »Verantwortungslosigkeits-Maschine« bezeichnen könnte? Kann es sogar sein, dass manche Strukturen bewusst als »self-organising control fraud« gestaltet sind? Ein weiteres damit verbundenes Thema ist: Wie beeinflussen moderne Prognose-Tools wie Recommender Systems unser Verhalten? Dienen sie wirklich dazu, bessere Entscheidungen zu ermöglichen, oder machen sie uns hauptsächlich vorhersagbarer? »Menschen, die dies und jedes gekauft/gesehen haben, haben auch dies gekauft/gesehen« – ist das noch Prognose oder schon Formung des Geschmacks? Und was ist mit wissenschaftlichen Modellen komplexer Systeme, die oft relativ beliebige Ergebnisse liefern? Formen sie nicht auch die Meinung von Wissenschaftlern, Politikern und der Gesellschaft – etwa durch die überall beobachtbare schlichte Medienberichterstattung? Bleibt außerdem der Mensch wirklich »in the loop«, wie oft behauptet wird, oder ist er längst ein »artificial unintelligent man in the loop«, der Empfehlungen des Systems kaum hinterfragen kann? Die Episode wirft auch einen kritischen Blick auf naive Ideologien wie das »Scientific World Management« von Alfred Korzybski, der schrieb: „it will give a scientific foundation to Political Economy and transform so-called ‘scientific shop management’ into genuine ‘scientific world management.’“ War dieser Wunsch nach dem Ersten Weltkrieg verständlich, aber letztlich völlig missgeleitet? Und warum erleben wir heute eine Wiederkehr des naiven Szientismus, der glaubt, »die Wissenschaft« liefere objektive Antworten? Wie hängen solche Ideen mit Phänomenen wie »Science Diplomacy« zusammen? Die zentrale Frage der Episode lautet: Wie erreicht man, dass Menschen in Verantwortung korrekt im Sinne des definierten Zwecks der Organisation entscheiden? Doch was ist überhaupt der Zweck eines Systems? Stafford Beer sagt: »The purpose of a system is what it does.« Stimmt der definierte Zweck – etwa Gesundheit im Gesundheitssystem – noch mit der Realität überein? Warum entscheiden Ärzte oft defensiv im eigenen Interesse statt im Interesse der Patienten? Und wie überträgt sich dieses Verhalten auf andere Organisationen – von Ministerien bis hin zur Wissenschaft? Davies beschreibt das ab Beispiel des akademischen Publikationswesens so: „A not-wholly-unfair analysis of academic publishing would be that it is an industry in which academics compete against one another for the privilege of providing free labour for a profitmaking company, which then sells the results back to them at monopoly prices.“ Und weiter: „The truly valuable output of the academic publishing industry is not journals, but citations.“ Was ist aus der Idee geworden, dass die Generierung von neuem und relevantem Wissen die Aufgabe von Wissenschaft, Förderung und Publikationswesen ist? Zum Abschluss stelle ich die Frage: Wie können Systeme so gestaltet werden, dass Verantwortung wieder übernommen wird? Wie balanciert man die Zuordnung von Konsequenzen mit der Möglichkeit, ehrlich zu scheitern – ohne Innovation zu ersticken? Und was sind »Luxury Beliefs« – jene modischen Ideen elitärer Kreise, die sie selbst nicht tragen müssen, während sie für andere zur existenziellen Bedrohung werden? Die Episode endet so mit einem Aufruf zur Diskussion: Wie lösen wir diesen Spagat zwischen Verantwortung und Risiko in einer immer komplexeren Welt? Referenzen Andere Episoden Episode 119: Spy vs Spy: Über künstlicher Intelligenz und anderen Agenten Episode 118: Science and Decision Making under Uncertainty, A Conversation with Prof. John Ioannidis Episode 117: Der humpelnde Staat, ein Gespräch mit Prof. Christoph Kletzer Episode 116: Science and Politics, A Conversation with Prof. Jessica Weinkle Episode 106: Wissenschaft als Ersatzreligion? Ein Gespräch mit Manfred Glauninger Episode 103: Schwarze Schwäne in Extremistan; die Welt des Nassim Taleb, ein Gespräch mit Ralph Zlabinger Episode 93: Covid. Die unerklärliche Stille nach dem Sturm. Ein Gespräch mit Jan David Zimmermann Episode 91: Die Heidi-Klum-Universität, ein Gespräch mit Prof. Ehrmann und Prof. Sommer Episode 84: (Epistemische) Krisen? Ein Gespräch mit Jan David Zimmermann Fachliche Referenzen Britain has become a pioneer in Artificial Unintelligence | The Spectator (2025) Davies, Dan. The Unaccountability Machine: Why Big Systems Make Terrible Decisions - and How The World Lost its Mind, Profile Books (2024) Alfred Korzybski, Manhood of Humanity (1921) Jessica Weinkle, What is Science Diplomacy (2025) Nassim Taleb, Skin in the Game, Penguin (2018) Rob Henderson, 'Luxury beliefs' are latest status symbol for rich Americans, New York Post (2019) Lorraine Daston, Rules, Princeton Univ. Press (2023)
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Folge vom 20.03.2025120 — All In: Energie, Wohlstand und die Zukunft der Welt: Ein Gespräch mit Prof. Franz Josef RadermacherWillkommen zu einer neuen Folge meines Podcasts! In dieser Episode begrüße ich den renommierten Experten Franz Josef Radermacher vor einem besonderen Gast an der Wand: Albert Einstein. Was hat Einstein mit Energie zu tun? Warum ist Energie die Grundlage menschlichen Wohlstands? Und wie gestalten wir eine nachhaltige Zukunft in einer global vernetzten Welt? Dieses Gespräch nimmt uns mit auf eine Reise durch die Geschichte der Energienutzung, die Herausforderungen der Energiewende und die geopolitischen Dimensionen, die oft übersehen werden. Prof. Radermacher ist Vorstand des Forschungsinstituts für anwendungsorientierte Wissensverarbeitung, stellv. Vorstandsvorsitzender von Global Energy Solutions e. V. (Ulm), emerit. Professor für Informatik, Universität Ulm, 2000 – 2018 Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI); er ist Ehrenpräsident des Ökosozialen Forum Europa, Wien, Mitglied des UN-Council of Engineers for the Energy Transition (CEET) sowie Mitglied des Club of Rome, Winterthur. Was hat Einstein mit diesem Gespräch zu tun? Wir beginnen mit der Frage, welche Rolle Energie in unserer Gesellschaft spielt sowie der Tatsache, dass vielen Menschen, vermutlich den meisten, nicht klar ist, was unsere Gesellschaft antreibt? So waren 2023 mehr als 81 Prozent des gesamten weltweiten Energieverbrauchs durch fossile Quellen gedeckt, und die Menge an fossilen Energieträgern wächst ständig. Wie hat Energie die Menschheit geprägt? Welche Energiequellen hatten wir früher und welchen Einfluss hatte die Veränderung der Energieträger auf unsere Gesellschaft und unseren Lebensstandard? Warum dominieren fossile Brennstoffe heute noch? Kann Energie Armut bekämpfen? Ist es Energie, die Wohlstand schafft? Warum sind zwei oft übersehene Parameter von so großer Bedeutung: Energiedichte und Platzbedarf? Kernkraftwerke benötigen wenig Fläche im Vergleich zu Windrädern oder Photovoltaik: »Da ist ja ein Faktor 100 dazwischen.« […] »Weil auch Fläche ein extrem knappes Gut ist, ist es problematisch, wenn man eine Energie mit ziemlich niedriger Dichte hat.« Gleichzeitig sind Energie und Emissionen, besonders Treibhausgase, globale Phänomene, die lokal nicht zu lösen sind. »Von 2004 bis 2023 haben die globalen Investitionen in Wind und Solar rund 4 Billionen Dollar ausgemacht, und trotzdem sind die fossilen Energieträger dreimal schneller gewachsen.“ Zudem: „In den großen Industrienationen […] eine Reduktion der CO2-Emissionen, aber gleichzeitig einen Zuwachs in Indien und China, der diese Reduktionen um das Faktor 5 überschattet.«, Robert Bryce Überrascht uns China? China hat mittlerweile die EU auch in den Pro-Kopf-Emissionen überholt. Was passiert, wenn Schwellenländer folgen? »An China kann man erkennen, was passiert, wenn ein armes Land versucht, Wohlstand aufzubauen. Und das geht bis heute nur mit fossilen Energieträgern.« Sind schnelle Lösungen gefährlich? Großinfrastruktur, Energiesysteme sind immer eine Frage von Jahrzehnten. Wenn wir versuchen, Dinge hier über das Knie zu brechen, ist die Wahrscheinlichkeit, dass Sie große und extrem teure Fehler machen, enorm. Außerdem stellt sich die Frage, welche Relevanz Europa überhaupt noch hat? Welche Maßnahmen gegen den Klimawandel könnten erfolgreich sein? Was wurde etwa in Baku beschlossen? Funktionieren Transferzahlungen? Warum scheitert eine Renewables Only Strategie zwangsläufig? »Die Idee, Renewables Only, ist ja eine von Deutschland immer wieder propagierte Idee.[… Es] ist nur eine Methode, [Entwicklungsländer] arm zu halten« Aber was ist die Alternative? Was ist Carbon Capture? Was ist die Rolle von Kernkraft? Welche Mischung verschiedener Verfahren ist sinnvoll? Zuletzt diskutieren wir über Strom vs. Moleküle und den All-Electric-Irrtum. Damit verbunden ist der Irrglaube, Wasserstoff könnte das Renable-Desaster lösen. Welche geopolitischen Herausforderungen sind mit diesen Themen verknüpft? Ist Prof. Radermacher optimistisch — für Europa, die Welt? Was könnte man jungen Menschen empfehlen? Referenzen Andere Episoden Episode 109: Was ist Komplexität? Ein Gespräch mit Dr. Marco Wehr Episode 107: How to Organise Complex Societies? A Conversation with Johan Norberg Episode 95: Geopolitik und Militär, ein Gespräch mit Brigadier Prof. Walter Feichtinger Episode 94: Systemisches Denken und gesellschaftliche Verwundbarkeit, ein Gespräch mit Herbert Saurugg Episode 86: Climate Uncertainty and Risk, a conversation with Dr. Judith Curry Episode 81: Energie und Ressourcen, ein Gespräch mit Dr. Lars Schernikau Episode 73: Ökorealismus, ein Gespräch mit Björn Peters Episode 70: Future of Farming, a conversation with Padraic Flood Episode 62: Wirtschaft und Umwelt, ein Gespräch mit Prof. Hans-Werner Sinn Prof. Radermacher Forschungsinstitut für anwendungsorientierte Wissensverarbeitung/n Global Energy Solutions Prof. Radermacher im Vorstand der Global Energy Solutions All In: Energie und Wohlstand für eine wachsende Welt, Murmann (2024) Fachliche Referenzen Vaclav Smil, How the World Really Works, Penguin (2022) Vaclav Smil, Net Zero 2050, Fraser Institute (2024) Robert Bryce, The Energy Transition Isn't (2023) Robert Bryce, Numbers Don’t Lie (2024)