In seinem neuen Erzählband «Hotel der Schlaflosen» legt der deutsche Autor Ralf Rothmann packende Wirklichkeitsausschnitte vor. Leitschnur der elf Erzählungen ist die Angst, die die Figuren in unterschiedlichsten Konstellationen, zu unterschiedlichsten Zeiten und an unterschiedlichsten Orten trifft.
Manchmal kommt die Angst auf leisen Pfoten daher, als unbestimmt bohrende Seelenpein, wenn etwa eine Frau in der fast leergeräumten Wohnung Notizen ihres Mannes liest und durch einen Anruf aufgeschreckt wird. Wo der Mann ist, und warum die Frau später selbst jemanden anruft, anonym, ohne etwas zu sagen, erfährt man nicht. Aber es liegt der Kummer eines verpassten Lebens über «Alle Julias!» und die Angst vor dem, was noch kommen möge.
Diffus und gleichzeitig sehr real ist die Angst auch in der Titelgeschichte «Hotel der Schlaflosen». Sie fokussiert auf eine Episode in der Sowjetunion, 1940, zu Zeiten der stalinistischen Säuberungen. Im Moskauer Butyrka-Gefängnis ist es zu eng geworden, die geheimen Exekutionen finden nun in einem Hotel statt – angeleitet von Wasili Blochin, einem eiskalten Massenmörder und kultivierten Sadisten. Bevor Blochin den grossen Schriftsteller Isaak Babel erschiesst, quält er ihn seelenruhig wie die Katze die Maus. Auch in dieser Erzählung scheint hinter der Angst die Frage auf, was es mit der Wirklichkeit auf sich habe und ob die Wahrheit - wie die Würde des Menschen - letztlich nicht doch unantastbar sei.
Mit Ralf Rothmann spricht Franziska Hirsbrunner.
Buchhinweis:
Ralf Rothmann. Hotel der Schlaflosen. Suhrkamp Verlag, 2020.

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Ein Autor, ein Buch, eine Stunde – 52 Beste Bücher bietet Woche für Woche die Gelegenheit, zeitgenössische Autorinnen und Autoren kennenzulernen. Im Gespräch über ihr aktuelles Buch loten wir aus, was sie antreibt, wie sich inspirieren lassen und was hinter ihrer Geschichte steckt
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50 Folgen
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Folge vom 24.01.2021«Hotel der Schlaflosen» von Ralf Rothmann
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Folge vom 22.01.202152 Beste Bücher kompakt: Mit Ralf RothmannFranziska Hirsbrunner spricht mit Ralf Rothmann darüber, warum Angst viel mehr ist als nur ein unangenehmes Gefühl und warum sich Kurzgeschichten besonders eignen, sie zu erforschen. Buchhinweis: Ralf Rothmann. Hotel der Schlaflosen. Suhrkamp Verlag, 2020.
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Folge vom 17.01.2021«Die Schlange im Wolfspelz» von Michael MaarMichael Maar vermisst in seinem Bestseller «Die Schlange im Wolfspelz» die Welt der Literatur: Ihm ist ein grossartiger Roman über grossartige Romane gelungen. Im Hochgebirge des guten Stils ist die Luft dünn: Beim Erklären kommt man schnell ausser Atem. Nicht so der deutsche Schriftsteller und Essayist Michael Maar. Ihm gelingen da noch virtuoseste Verführungen: Das Buch »Die Schlange im Wolfspelz» ist die Summe eines Leser- und Autorenlebens: Wer selber schreibt, findet in Maar einen idealen Leser. Wer gerne liest, findet einen idealen Autor, der dem Geheimnis grosser Literatur so nahe kommt wie kaum jemand vor ihm. Michael Maar nimmt an den Besten Mass, darunter sind auch viele Frauen, von Rahel Varnhagen bis Brigitte Kronauer, und er führt uns anschaulich vor Augen, was guter Stil ist: Guter Stil ist immer leicht schräg, knapp neben der Spur, kaum zu kopieren. Buchhinweis: Michael Maar. Die Schlange im Wolfspelz. Das Geheimnis grosser Literatur. Rowohlt Verlag, 2020.
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Folge vom 15.01.202152 Beste Bücher kompakt: Mit Michael MaarJulian Schütt unterhält sich mit Michael Maar über das Geheimnis grosser Literatur und guten Stils. Buchhinweis: Michael Maar. Die Schlange im Wolfspelz. Das Geheimnis grosser Literatur. Rowohlt Verlag, 2020.