Wilhelm Wundt hat im 19. Jahrhundert die Psychologie zu einer eigenständigen Wissenschaft gemacht. Er befasste sich mit Phänomenen der Wahrnehmung und der Aufmerksamkeit. Sein Ansatz war zu versuchen, einen Zusammenhang herzustellen zwischen physiologischen und psychologischen Vorgängen – also: Was passiert im Körper, wenn wir etwas Bestimmtes erleben? Seine umfassendste Arbeit aber war ein zehnbändiges Werk über Völkerpsychologie. Der Titel klingt heute irreführend, denn es ging ihm weniger darum, einzelnen Völkern eine bestimmte Psychologie zuzuschreiben als vielmehr um etwas, was man besser als Kulturpsychologie bezeichnen könnte, also zu fragen: Wie entsteht so etwas wie Kultur? Welche Rolle spielen Sprache, gemeinschaftliche Erfahrungen oder Mythen dabei? Die Psychologie war für Wilhelm Wundt das Paradebeispiel eines Fachs, in dem Philosophie und Wissenschaft zusammenwirken. Genau davon handelt auch ein Vortrag, den er in seiner akademischen Antrittsrede am 31.10.1874 in Zürich gehalten hat. Mehr als 40 Jahre später, im Mai 1918 hat Wilhelm Wundt die Schlussworte seines Vortrags auf Veranlassung des Sprachwissenschaftlers Wilhelm Doegen noch einmal aufgenommen. Darin betont er, dass philosophische Erkenntnisse langfristig nur Bestand haben, wenn sie sich auf Wissenschaft stützen. Die Philosophie sei es, die die einzelnen Quellen der Wissenschaft zu einem großen Strom zusammenführe.
"Die Systeme der Philosophie sind, soweit sie eine bleibende Bedeutung gewonnen haben, nicht müßige Ideenverbindungen einzelner Fälle. Wohl aber sucht die Philiosophie die einzelnen Quellen, die in den Gebieten des Beckens fließen, zu einem Strom zu vereinigen, an dem man nicht den Verlauf der einzelnen Quellen zwar, wohl aber die gesamte Richtung erkennen kann, die sie alle zusammengenommen haben. Darum ist die Geschichte der Philosophie die notwendige Stellvertreterin einer allgemeinen Geschichte der Wissenschaft.
Das Bewußtsein dieser Zusammengehörigkeit von Philosophie und Wissenschaften ist der jüngst vergangenen Zeit abhandengekommen. Den Einzelgebieten gebührt dafür der geringere Vorwurf, denn Sache der Philosophie ist es, die guten Beziehungen zwischen beiden - zwischen Philosophie und Wissenschaft - aufrechtzuerhalten, indem sie den Einzelgebieten entnimmt, was sie bedarf, die Grundlage der Erfahrung, und indem sie ihnen gibt, was für sie nicht minder notwendig ist: die Erkenntnis des allgemeinen Zusammenhangs unseres Glücks." | Mehr: http://swr.li/wundt-philosophie-wissenschaft

Kultur & Gesellschaft
Archivradio – Geschichte im Original Folgen
Historische Aufnahmen und Radioberichte von den ersten Tonaufzeichnungen bis (fast) heute. Das Archivradio der ARD macht Geschichte hör- und die Stimmung vergangener Jahrzehnte fühlbar. Präsentiert von: Gábor Paál, Lukas Meyer-Blankenburg, Maximilian Schönherr und Christoph König. Ein Podcast von SWR, BR, HR, MDR und WDR. https://archivradio.de | Übersicht über alle Beiträge: http://x.swr.de/s/archivradiokatalog
Folgen von Archivradio – Geschichte im Original
968 Folgen
-
Folge vom 26.11.2022Psychologie-Pionier Wilhelm Wundt über das Verhältnis von Philosophie und Wissenschaft | 4.5.1918
-
Folge vom 24.11.2022Sipri warnt vor drohendem Atomkrieg in Europa | 6.8.19801980, nach dem Scheitern der Abrüstungsverhandlungen zwischen Ost und West, nimmt das atomare Wettrüsten weiter Fahrt auf. Zum 35. Jahrestag des Atombombenabwurfs auf Hiroshima warnt das schwedische Friedensforschungsinstitut Sipri vor einem drohenden Atomkrieg in Europa.
-
Folge vom 24.11.2022Kommentar Fritz Eberhard: Die Lehren aus Nürnberg und Hiroshima | 24.11.1945 | Nürnberger ProzesseFritz Eberhard (1896 - 1982) war der Vorsitzende des beratenden Komitees der deutschen Mitarbeiter von Radio Stuttgart und von 1949 bis 1958 Intendant des Süddeutschen Rundfunks. Der Sozialdemokrat war während der NS-Herrschaft im Widerstand und musste 1937 auswandern. In seinem Kommentar mahnt er, die Welt müsse aus dem jüngsten Krieg lernen und nicht ein neues Wettrüsten beginnen.
-
Folge vom 24.11.2022Helmut Schmidt distanziert sich von Radikalenerlass | 24.11.19781972 hatten Bund und Länder, SPD und Union noch gemeinsam den Radikalenerlass beschlossen, der Extremisten vom Beamtendienst fernhalten sollte. Doch mit den Jahren rücken einige Länder wieder zunehmend davon ab, ebenso die SPD-geführte Bundesregierung. Aus Sicht von Bundeskanzler Helmut Schmidt schießt der Erlass mit Kanonen auf Spatzen. Auf dem Hamburger Landesparteitag der SPD am 24. November 1978 erklärt Schmidt ausführlich seine Position – die letztlich auch dazu führen, dass seine Bundesregierung, die den Beschluss schon einige Zeit ohnehin nicht mehr anwendet, sich 1979 endgültig von ihm verabschieden wird. Mit dieser Rede stimmt er seine Parteifreunde in Hamburg darauf hin. 1979 verabschiedet sich der Bund vom Radikalenerlass, dann nach und nach auch die Bundesländer, zuletzt Bayern 1991.