
NachrichtenKultur & Gesellschaft
Auf den Tag genau Folgen
Aus dem Kiez in die Welt, von der Oper in den Boxring – mit täglich einer Zeitungsnachricht aus der Hauptstadtpresse heute vor 100 Jahren tauchen wir ein in die Fragen und Debatten, die das Berlin von 1920 bewegten. Halte dich informiert und bleib auf dem Laufenden über eine Welt, die uns heute doch manchmal näher ist, als man meinen möchte. Die aktuelle Staffel „Hamburg und die Welt vor 100 Jahren“ entsteht in Kooperation mit der Akademie der Wissenschaften in Hamburg und präsentiert Zeitungsartikel aus Hamburger Tageszeitungen. Es gilt weiterhin: bis morgen! Die ZEIT STIFTUNG BUCERIUS, die Landeszentrale für politische Bildung Hamburg und die Hapag-Lloyd Stiftung unterstützen die Pilotphase des Geschichtspodcast finanziell. Mit Dank an Andreas Hildebrandt für den Jingle und Anne Schott für die Bildmarke.
Folgen von Auf den Tag genau
-
Folge vom 16.07.2023Ein Wimmelbild vom Strandbad WannseeDas Strandbad Wannsee des Architekten Richard Ermisch zählt zu den ikonischen Bauten der Neuen Sachlichkeit und darf in keinem Buch über das Berlin der Weimarer Republik fehlen. Errichtet wurde es freilich erst Ende der 1920er Jahre, nachdem ein Brand das alte Bad teilweise zerstört hatte und dessen Kapazitäten zuvor ohnehin an ihre Grenzen gestoßen waren. Einen lebendigen Eindruck, von dem Andrang, der an heißen Sommertagen hier tatsächlich geherrscht hatte, gibt ein Bericht aus dem 8-Uhr-Abendblatt vom 16. Juli 1923. Obwohl der Wannsee erst 1907 zum Baden freigegeben worden war, präsentiert er sich hier bereits als die berühmt-berüchtigte Badewanne der Berliner, von der der namenlos bleibende Autor mit kräftigem Pinsel ein eindrucksvolles Wimmelbild zeichnet. Paula Rosa Leu hat es sich für uns angesehen und eingelesen.
-
Folge vom 15.07.2023Bei der jüdisch-orthodoxen Gemeinde Adass JisroelAuch wenn die große Mehrheit der Berliner Jüdinnen und Juden vor einhundert Jahren ähnlich säkular lebte wie ihre christlichen Nachbarn, nimmt es sich doch etwas überraschend aus, wie wenig wir aus den damaligen Tageszeitungen aus dem hiesigen jüdischen Gemeindeleben erfahren und via Podcast weitergeben können. Zum Glück ist auf Erdmann Graeser Verlass, der bei seinem seriellen „Rundgang durch religiöse Gemeinschaften in Berlin“ auch bei der „Israelitischen Synagogengemeinde Adass Jisroel“ in der Artilleriestraße, der heutigen Tucholskystraße in Mitte vorbeigeschaut hat. Bei dieser, erfahren wir in seinem Artikel aus der Vossischen vom 15. Juli 1923, handelte es sich um eine orthodoxe Abspaltung der liberal und reformerisch orientierten Berliner Mehrheitsgemeinde mit eigenem Gotteshaus und eigenem Friedhof – als die sie auch heute in Berlin wieder besteht und neben Synagoge und Gemeinsehaus u.a. auch ein Café und einen koscheren Lebensmittelladen unterhält. Es liest Frank Riede.
-
Folge vom 14.07.2023Der Kapp-Führer Ehrhardt geflohenHermann Ehrhardt führte nach dem Ersten Weltkrieg das nach ihm benannte Freikorps Marinebrigade Ehrhardt, das wegen seiner Verstrickung in den Kapp-Putsch 1920 aufgelöst wurde. Aus dessen Mitgliedern und weiteren antisemitischen und antirepublikanischen Militärs rekrutierte er den Geheimbund „Organisation Consul“, der in den Folgejahren u.a. Matthias Erzberger und Walther Rathenau ermordete. Hermann Ehrhardt zog bei dieser von wohlhabenden Antirepublikanern finanzierten und streng hierarchisch strukturierten Organisation die Fäden. Er war ins Ausland geflüchtet, kehrte allerdings nach Deutschland zurück und wurde im November 1922 verhaftet. Im Juli 1923 sollte ihm in Leipzig der Prozess gemacht werden. Wenige Zeit vor Prozessbeginn gelang ihm die Flucht. Die Berliner Volkszeitung konnte sich in ihrem Bericht darüber am 14. Juli ätzende Kommentare in Richtung der Justizvollzugsorgane nicht verkneifen. Ehrhardt blieb erneut nicht lange im Exil und kehrte im Herbst 23 zurück nach München. Da er sich gegen den Hitler-Ludendorff Putsch stellte, hatte er später, im Nationalsozialistischen Deutschland keine politische Karrieremöglichkeit und lebte bis zu seinem Tode 1971 unbehelligt als Landwirt in Österreich. Es liest Paula Rosa Leu.
-
Folge vom 13.07.2023Das TheatrophonIn machen europäischen Ländern laufen im Fernsehen fremdsprachige Filme in der Regel im Original mit Untertiteln, die Mehrzahl erstellt aufwändige Synchronfassungen der Filme, bei denen Schauspieler:innen die Aussagen der Originalschauspieler:innen “nachspielend” einsprechen. In Polen hingegen las (oder liest immer noch?) eine männliche Stimme nüchtern, sachlich, monoton die Texte aller Filmfiguren hintereinander weg, wobei die Zuschauer:innen leise das Original im Hintergrund hörten. Wahrlich eine sehr interessante Seh- und Hörerfahrung. Eine dem polnischen Synchronisierungsmodell geistesverwandte Erfindung stellte am 13. Juli 1923 das 12 Uhr-Blatt vor: das Theatrophon. Wer etwa in der Oper den Text nicht verstand, konnte zu einem Hörer greifen und den Wortlaut der Arie trocken und monoton vorgelesen bekommen. Frank Riede liest den Zeitungstext für uns in gewohnter Lebhaftigkeit und Dynamik.