Er habe manchmal das Gefühl, dass er „ein bissl eine prophetische Eigenschaft habe“ und deshalb vor sich selbst „eigentlich Angst“. Ob bei seinem Krimi „Rechtswalzer“ oder dem Historienroman „Die Entdeckung Amerikas“, oft habe sich bei Erscheinen des Buches seine Phantasie plötzlich gespenstisch in der Wirklichkeit gespiegelt. So auch jetzt.
In Franzobels „Hundert Wörter für Schnee“ geht es unter anderem um den amerikanischen Ingenieur und Forscher Robert Peary. Der plante Ende des 19. Jahrhunderts zunächst den Vorläufer des heutigen Panama-Kanals und verhielt sich später beim Streben zum Pol in Grönland wie ein Kolonialherr. America first? „Am Ende weiß ich gar nicht mehr genau, habe ich das erfunden oder habe ich das irgendwo gelesen. Ist das Fakt oder ist das einfach meine Phantasie?“
Auf über 500 Seiten entfaltet Franzobel in „Hundert Wörter für Schnee“ jetzt Robert Pearys jahrelanges, rücksichtsloses Streben zum Nordpol und das Schicksal des von ihm zusammen mit fünf weiteren Inuit in die USA verschleppten Minik. Ihn habe, sagt Franzobel im Gespräch mit Jürgen Deppe, dessen „Zerrissenheit interessiert, diese Problematik der Migration, des Heimatlosen.“
Mit Ironie und teils groteskem Sprachwitz erzählt Franzobel eine reale Antihelden-Saga, die heute ganz ähnlich stattfinden könnte.

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Bei "Das Gespräch" kommen Menschen zu Wort, die Stellung beziehen und Positionen vertreten: kulturell oder gesellschaftlich, kenntnisreich, vielfältig und nicht selten provokant. Mal sind sie prominent und in aller Munde, mal ausgewiesene Experten auf ihrem Gebiet. Gemein ist ihnen allen, dass sie Inspirierendes zu sagen haben zu den Themen unserer Zeit - und oft auch sehr Persönliches. Wir stellen drängende Fragen und rollen nicht einfach den roten Teppich aus.
Folgen von NDR Kultur - Das Gespräch
39 Folgen
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Folge vom 16.02.2025Erfunden oder irgendwo gelesen? Franzobel im Gespräch
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Folge vom 09.02.2025Andreas Zick: "Rechtsextremismus ist in der Mitte verankert"Das ist das Ergebnis der Studie „Die distanzierte Mitte“ unter Leitung des Gewalt- und Konfliktforschers Andreas Zick: Jede zwölfte Person in Deutschland hat ein geschlossen rechtsextremes Weltbild, fast jede*r dritte teilt völkische Ansichten. „Es hat sich Vieles normalisiert. Wir betrachten es nicht mehr als so erschreckend wie in den 90er Jahren.“ Selbst Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele halten 44 Prozent der Befragten für moralisch gerechtfertigt. Anders als früher befürworten laut der aktuellen Erhebung insbesondere Jüngere immer stärker rechtspopulistische und rechtsextreme Positionen – unabhängig vom Bildungsstand. Im Gespräch mit Dietrich Brants erläutert Andreas Zick, wie sich rechtsextreme Auffassungen in der Mitte der Gesellschaft „normalisieren“, wie nationales und völkisches Denken im Kulturbetrieb Raum greift und wie gesichert Rechtsextreme allerorten Aufgaben und Posten übernehmen.
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Folge vom 02.02.2025Die Kunst des Zuhörens - Gespräch mit Bernhard Pörksen„Ich bin kein besonders guter Zuhörer“, bekennt Bernhard Pörksen. „Ich höre viel zu oft nur mich selbst. Gefangen im eigenen Ego, den eigenen Urteilen oder auch Vorurteilen.“ Deutschlands prominentester Medienwissenschaftler sagt das nicht etwa aus Eitelkeit, sondern meint, er sei da „wie viele andere Menschen.“ Der Tübinger Medienprofessor, der derzeit Fellow am New Institute in Hamburg ist, stellt im Gespräch mit Katja Weise die Zuhör-Defizite nicht nur im privaten, sondern auch im öffentlichen Bereich fest. Angesichts der zahlreichen Krisen weltweit funktioniere im allgemeinen Rauschen das Zuhören nicht mehr: „Die Bequemlichkeit, die Verdrängungssehnsucht werden größer. Die Menschen werden nachrichtenmüde, klinken sich aus, flüchten sich in den eigenen heiliggesprochenen Seelengarten.“ In seinem Buch „Zuhören. Die Kunst, sich der Welt zu öffnen“ (Hanser Verlag) beschreibt Bernhard Pörksen, dass der Nachrichten-Überdruss auch mit den Veränderungen in der Medienlandschaft zu tun habe: „War es früher schwer zu senden, ist es heute schwer Gehör zu finden.“ Dieser Mechanismus von Senden und Empfangen werde jetzt gesteuert von „Zuckerberg, Musk und Co.“, sei also, so Pörksen, maximal profitorientiert. Im Gegenzug fordert der Medienwissenschaftler: „Man muss das Zögern lernen. Man muss dem Flüstern, dem Murmeln hinterherhören.“
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Folge vom 26.01.2025Auschwitz hat Auswirkungen bis heute - Gespräch mit Elke Gryglewski„Das Leid ist gewissermaßen tradiert worden.“ Ob als Trauma von Opfern wie Tätern bis in die 4. Generation oder als antisemitisches wie rassistisches Gedankengut – das Grauen in deutschen Konzentrationslagern hat bis heute tiefe Spuren hinterlassen. Diesen Schluss zieht Elke Gryglewski, Geschäftsführerin der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten, aus ihrer täglichen Arbeit. Sie ist unter anderem Leiterin der Gedenkstätte Bergen-Belsen und hält als solche für ihre Erinnerungsarbeit Kontakt mit den letzten Zeitzeugen: „Wir wissen, dass die seltene Möglichkeit mit Überlebenden zu sprechen von sehr, sehr hohem Wert ist.“ Da die Zeitzeugen altersbedingt aber immer weniger werden, übernähmen nach Ansicht Gryglewskis authentische Gedenkstätten die Aufgabe der Erinnerungsarbeit. „Wir merken es an unserem Publikum, dass es wichtig ist dort zu sein, wo es geschehen ist. Was immer dieses ‚wo-es-geschehen-ist‘ auch bedeutet.“ Im Gespräch mit Jürgen Deppe betont Elke Gryglewski, dass vor dem Gedenken aber das Schließen von Bildungslücken stehe – bei jüngeren wie bei älteren Menschen, zumal sich die Diversität von Antisemitismus in der Vergangenheit erweitert habe: Er komme von rechts wie von links, aber auch aus muslimischen Communities. „Diese Phänomene müssen wir sehr ernst nehmen.“