
NachrichtenKultur & Gesellschaft
Auf den Tag genau Folgen
Aus dem Kiez in die Welt, von der Oper in den Boxring – mit täglich einer Zeitungsnachricht aus der Hauptstadtpresse heute vor 100 Jahren tauchen wir ein in die Fragen und Debatten, die das Berlin von 1920 bewegten. Halte dich informiert und bleib auf dem Laufenden über eine Welt, die uns heute doch manchmal näher ist, als man meinen möchte. Die aktuelle Staffel „Hamburg und die Welt vor 100 Jahren“ entsteht in Kooperation mit der Akademie der Wissenschaften in Hamburg und präsentiert Zeitungsartikel aus Hamburger Tageszeitungen. Es gilt weiterhin: bis morgen! Die ZEIT STIFTUNG BUCERIUS, die Landeszentrale für politische Bildung Hamburg und die Hapag-Lloyd Stiftung unterstützen die Pilotphase des Geschichtspodcast finanziell. Mit Dank an Andreas Hildebrandt für den Jingle und Anne Schott für die Bildmarke.
Folgen von Auf den Tag genau
-
Folge vom 23.06.2023Die Kapotte der Schauspielerin wird Ihnen präsentiert von …Dass Theater im Bereich des Ausstattungswesens mit Modelabels kooperieren und dabei die kostenlose Zur-Verfügung-Stellung von hochwertigen Textilien für die Einkleidung der Schauspieler mit einer dankenden Erwähnung der Hersteller im Programmheft vergüten, ist heutzutage verbreiteter Usus. In den 1920er Jahren steckte eine solche „Anbiederung“ von Kulturbetrieben an die profitgetriebene kapitalistische Konsumwelt in Deutschland dagegen offensichtlich noch in den Kinderschuhen. Höchst irritiert von dieser Praxis zeigt sich jedenfalls eine Autorin der Berliner Börsen-Zeitung nach dem Besuch einer Inszenierung von Leo Tolstois „Der lebende Leichnam“ in einem Berliner Theater und versucht die Kleidungsstücke daraufhin polemisch-streng im Sinne der Figurenpsychologie zu semantisieren. Ihre entsprechende Glosse vom 23. Juni 1923 liest für uns Paula Rosa Leu.
-
Folge vom 22.06.2023Hitlers AuslandsmillionenBis heute ist eine vieldiskutierte Frage innerhalb der Geschichtswissenschaft, wie sich die frühe NSDAP vor dem Putsch 1923 finanzierte. Sie hatte zweifelsfrei hohe Ausgaben für ihre Propaganda- und Werbeaktionen, allerdings auch Einnahmen durch die Eintrittskarten zu ihren Veranstaltungen. Aber: Inwieweit erhielt sie Gelder von der Industrie, eventuell sogar aus dem Ausland, etwa vom bekennenden Antisemiten Henry Ford? Nach jahrzehntelanger Forschung und Kontroversen, gilt als gesichert, dass die Großindustrie die NSDAP in ihren ersten Jahren nicht wesentlich finanziert hat, was sie nicht von ihrem Anteil am Scheitern der Weimarer Republik exculpiert. Aber in unserer heutigen Folge hören wir die Vermutungen der Zeitgenossen aus dem Vorwärts vom 22. Juni 1923, die sogar vor Gericht verhandelt wurden und die Frank Riede für uns liest.
-
Folge vom 21.06.202325 Jahre Berliner MorgenpostEinen Podcast aus einhundertjährigen Zeitungsartikeln zu bestreiten, bedeutet tagtäglich in eine untergegangene Welt zu blicken. Keine Autorin, deren Texte wir lesen, ist heute noch am Leben, und auch kein Mensch, von dem diese Texte handeln. Nicht einmal die britische Queen hat bis zum hundertsten Jahrestag ihrer Geburt durchgehalten, von der wir 2026 möglicherweise eine Nachricht versenden können. Damit jedoch nicht genug: Selbst die Tageszeitungen, die wir sichten, gibt es als solche heute nicht mehr – mit einer Ausnahme: Die Berliner Morgenpost wurde 1945 zwar wie alle bestehenden deutschen Zeitungen vom Alliierten Kontrollrat verboten, 1952 jedoch von Rudolf Ullstein, einem Sohn des Verlagsahnherrn Leopold Ullstein, nach Rückkehr aus seinem britischen Exil neugegründet. In diesem Herbst feiert sie somit bereits ihr 125jähriges Jubiläum, was wir zum Anlass nehmen, sie sich selbst zu ihrem 25jährigen gratulieren zu lassen. Der Artikel vom 21. Juni 1923 kam zwar eingestandenermaßen ein paar Monate zu früh, enthält aber ein schönes und gewiss nicht unaktuelles Plädoyer für die Pressefreiheit. Happy Birthday to me sagt Paula Rosa Leu.
-
Folge vom 20.06.2023Valutareise nach TschechienIn der Nachwendezeit erregte das deutsch-tschechische Grenzgebiet durch Gartenzwerge am Straßenrand, Drogenschmuggel und besonders die dort allgegenwärtige Prostitution Aufmerksamkeit. In jedem, noch so verfallenen Grenzdorf blinkten Leuchtreklamen, die auf einen Nachtclub aufmerksam machten. Die Lage entspannte sich erst, als sich das Wohlstandsgefälle zwischen den beiden Ländern verringerte. Der Ausflug deutscher Männer über die Grenze ins Bordell war wohl schon vor dem Ersten Weltkrieg eine übliche Praxis, wie wir dem schwelgenden Reisebericht „Valutareise nach Tschechien“ von Hans Merz aus dem 12-Uhr-Blatt vom 20. Juni 1923 entnehmen können. Für die sonst doch recht prüden Zeitungen der frühen Zwanziger überrascht es schon, wie deutlich der Autor sich positiv an seinen eigenen Sextourismus erinnert, alle üblichen misogynen Frauenbilder inklusive. Für uns liest dieses Zeitdokument dennoch Frank Riede.