NachrichtenKultur & Gesellschaft
Auf den Tag genau Folgen
Aus dem Kiez in die Welt, von der Oper in den Boxring – mit täglich einer Zeitungsnachricht aus der Hauptstadtpresse heute vor 100 Jahren tauchen wir ein in die Fragen und Debatten, die das Berlin von 1920 bewegten. Halte dich informiert und bleib auf dem Laufenden über eine Welt, die uns heute doch manchmal näher ist, als man meinen möchte. Die aktuelle Staffel „Hamburg und die Welt vor 100 Jahren“ entsteht in Kooperation mit der Akademie der Wissenschaften in Hamburg und präsentiert Zeitungsartikel aus Hamburger Tageszeitungen. Es gilt weiterhin: bis morgen! Die ZEIT STIFTUNG BUCERIUS, die Landeszentrale für politische Bildung Hamburg und die Hapag-Lloyd Stiftung unterstützen die Pilotphase des Geschichtspodcast finanziell. Mit Dank an Andreas Hildebrandt für den Jingle und Anne Schott für die Bildmarke.
Folgen von Auf den Tag genau
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Folge vom 11.09.2020Der Freistaat FiumeGabriele D’Annunzio gehört nicht nur zu den wichtigsten Autoren des italienischen Fin de siècle, sondern ist gleichermaßen auch zu den berühmtesten politischen Hasardeuren des frühen 20. Jahrhunderts zu zählen. Nachdem sich die groß-italienischen ‘Irredentisten‘ bei der Verteilung der Kriegsbeute nach 1918 zu kurz gekommen und namentlich um erhoffte Gebietszugewinne im adriatischen Raum betrogen wähnten, machte er sich im September 1919 mit einem Trupp Freischärler kurzerhand selbst auf den Weg und besetzte im Handstreich das auch vom frisch gegründeten jugoslawischen Staat beanspruchte Rijeka alias Fiume. Ein Jahr später hatte diese Okkupation immer noch Bestand. Während man sich in Washington, London und Paris nicht einig war, wie diesem Staatsstreich zu begegnen sei, und man sich in Rom und Belgrad zunehmend um diplomatische Wege aus der Krise bemühte, schritt D’Annunzio darin fort, Fakten zu schaffen und erklärte Fiume in einer nächsten Volte unter großem Pomp zum Freistaat. In ganz Europa sah man halb konsterniert, halb bewundernd diesem Schauspiel zu, so auch am 11. September 1920 das Berliner Tageblatt. Aus ihm liest Frank Riede.
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Folge vom 10.09.2020Ignaz Wrobel: Für ein politisches Kino1895, das Jahr, in dem Gustave Le Bons Buch Psychologie der Massen erschien, das eine neue Sparte der Psychologie mitbegründete, die sich mit dem Verhalten von Menschen in Menschenansammlungen beschäftigt, war auch das Jahr der ersten öffentlichen Aufführung des Kinematographen der Gebrüder Lumiere. Le Bon hatte sich natürlich noch nicht mit der Kinematographie beschäftigt, zumal nur wenige ahnten, wie erfolgreich das Kino ein Viertel Jahrhundert später sein würde. Kurt Tucholsky war jedenfalls 1920 klar, wie wirkmächtig das Kino die Zuschauermenge beeinflussen kann, und er plädiert in der Freiheit vom 10 September 1920 für ein politisches Kino, wobei er die größte Hürde auf dem Weg dahin sofort benennt: die Filmzensur - Tucholsky publiziert unter Ignaz Wrobel, Paula Leu liest.
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Folge vom 09.09.2020Antisemiten verprassen Milch auf Borkum!Auch während der harten Jahre nach Ende des 1. Weltkrieges gab es – ganz wörtlich zu nehmende – Inseln der Fülle und des Überflusses. Eine antisemitisch-monarchistische Klientel hatte es sich auf der Nordseeinsel Borkum eingerichtet und Mittel und Wege gefunden, die Beschränkungen der Notwirtschaft zu umgehen. Der Vorwärts vom 9.9.1920 klagt diese Entwicklung mit scharfem Zynismus an und fordert implizit die Vertreibung der Hakenkreuzler aus ihrem auf Betrug und Verbrechen aufgebauten „Paradies der Arier“. Es liest Frank Riede.
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Folge vom 08.09.2020Lessing am HakenkreuzKaum ein deutscher Klassiker widersetzte sich jeder völkisch-nationalistischen Vereinnahmung im 20. Jahrhundert so konsequent wie Gotthold Ephraim Lessing. Sein leidenschaftlicher Einsatz für den Toleranzgedanken und namentlich die Sache der Judenemanzipation machten ihn schon Anfang der 1920er Jahre, also lange vor dem Aufstieg der Nazis zum Feindbild in den entsprechenden Kreisen wie etwa der antisemitisch besessenen ‘Deutschen Zeitung‘. Deren durchschaubare Versuche, Lessings Stellung im Literaturkanon in Frage zu stellen, nahm das Berliner Tageblatt am 8. September 1920 zum Anlass für eine polemische Replik, die an Schärfe nichts zu wünschen übrig lässt – und in der Rückschau Nathans des Weisen Schicksal nach 1933 fast schon vorausahnt. Es liest Paula Leu.