NachrichtenKultur & Gesellschaft
Auf den Tag genau Folgen
Aus dem Kiez in die Welt, von der Oper in den Boxring – mit täglich einer Zeitungsnachricht aus der Hauptstadtpresse heute vor 100 Jahren tauchen wir ein in die Fragen und Debatten, die das Berlin von 1920 bewegten. Halte dich informiert und bleib auf dem Laufenden über eine Welt, die uns heute doch manchmal näher ist, als man meinen möchte. Die aktuelle Staffel „Hamburg und die Welt vor 100 Jahren“ entsteht in Kooperation mit der Akademie der Wissenschaften in Hamburg und präsentiert Zeitungsartikel aus Hamburger Tageszeitungen. Es gilt weiterhin: bis morgen! Die ZEIT STIFTUNG BUCERIUS, die Landeszentrale für politische Bildung Hamburg und die Hapag-Lloyd Stiftung unterstützen die Pilotphase des Geschichtspodcast finanziell. Mit Dank an Andreas Hildebrandt für den Jingle und Anne Schott für die Bildmarke.
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Folge vom 25.02.2021Eine Schmonzette aus dem kaiserlichen JapanVon allen asiatischen Ländern war Japan zweifellos am besten über Korrespondentennetze mit Europa verbunden. Dennoch vermischten sich in Berichten aus dem ‘Reich der aufgehenden Sonne‘ gerne einmal Nachrichten- und Märchenton, so etwa auch in der fast zu rührenden Geschichte aus der Vossischen Zeitung vom 25. Februar 1921 über die Verlobung des japanischen Kronprinzen mit der Tochter eines Generals – deren Liaison wider die strengen Standeskonventionen des Kaiserhauses angeblich erst auf den leidenschaftlichen Zuspruch der Tokyoter Bevölkerung hin ihre Legalisierung erfuhr. Bei nüchterner, historiographischer Betrachtung bleibt von dieser Schmonzette leider wenig übrig: Die Prinzessin Nagako entstammte zwar tatsächlich nicht den dafür eigentlich vorgesehenen fünf höchstadligen Familien, war aber eine entfernte Cousine des Prinzen, beider Verlobung entsprechend von den Eltern arrangiert; die Braut hatte kein Einspruchsrecht. Bei dem Bräutigam handelt sich überdies um den späteren Kaiser Hirohito, der als Regent bei der Kolonialisierung der Mandschurei und Koreas sowie an der Seite Hitlers im Zweiten Weltkrieg eine historisch äußerst unrühmliche Rolle spielen sollte. Für uns liest, trotzdem, Frank Riede.
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Folge vom 24.02.2021Razzien im ScheunenviertelDas sogenannte Scheunenviertel rund um den heutigen Rosa-Luxemburg-Platz war im Zuge der Industrialisierung zu einem der dichtbevölkertsten Viertel Berlins geworden. Durch den Zuzug orthodoxer, osteuropäischer Juden hatte sich die Grenadierstraße zu einer Art offenem Ghetto entwickelt. Als es 1923 zum sogenannten Scheunenviertelpogrom kam, bei dem jüdische Bewohner des Viertels verprügelt und ihre Ladengeschäfte verwüstet wurden, hielt sich die Polizei auffallend zurück und ließ den Mob gewähren. Zwei Jahre zuvor, so ließt man in der Vossischen Zeitung vom 24.2.1921, waren die Gesetzeshüter gegenüber der kriminellen Szene des Viertels weniger zimperlich. Und doch klingt auch der Bericht über verschiedene Razzien in den Kaschemmen der Weinmeister- oder Mulackstraße eher nach einem Spiel mit verteilten Rollen als nach dem konsequenten Versuch, der lokalen Unterwelt das Handwerk zu legen. Es liest Paula Leu.
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Folge vom 23.02.2021Welcher Film läuft im Reichstag?Dass die rasant populärer und ubiquitärer werdende Kinematographie ein gesundheitliches Risiko für die Allgemeinheit darstellen könnte, wurde sehr ernsthaft, manchmal alarmistisch, auch in den 20er Jahren vorgebracht. Kollektive Hysterie und andere Nervenerkrankungen würden durch den Konsum des Bewegtbildes in den unzähligen Kinos hervorgerufen. Paul Gutmann wagt in seinem Feuilleton vom 23. Februar im Berliner Tagblatt das Gedankenspiel, sich Berlin in naher Zukunft vorzustellen, in dem alle Bewohner vom Kino vereinnahmt sind, in dem sich der Lebensalltag den Kinonarrativen angeglichen hat. Mit beißender Ironie spielt er mit den fortschrittsoptimistischen Hoffnungen, aber auch mit den erwähnten gesundheitlichen Gefahren, die an die Kinematographie geknüpft wurden. Das Leben ist ein Film, die Menschen leben nur von großen Gesten, emotionalen Extremen und wirren Kriminalgeschichten. Jede Straßenszene ist ein Filmbild. Auf diese halluzinatorische Reise nimmt uns Frank Riede mit. Auch dieser Text enthält das N-Wort verbunden mit einer stereotypen Darstellung.
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Folge vom 22.02.2021Thomas Mann liest aus dem ZauberbergThomas Mann zur Lesung im örtlichen Gymnasium – Im Berlin von 1921 war das noch möglich. Und tatsächlich konnte Mann, zumindest auf den ersten Blick, ja durchaus als Oberstudienrat erscheinen. Wie sich dann aber auf den zweiten Blick die Künstleraura des Zauberbergautors entfaltet und so profane Dinge wie ein Schnupfen oder Fieberthermometer mit einem Mal poetisches Gewicht erlangen, davon berichtet das Berliner Tageblatt in einer kurzen Meldung vom 22. Februar des Jahres. Für uns liest Paula Leu.