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Auf den Tag genau Folgen
Aus dem Kiez in die Welt, von der Oper in den Boxring – mit täglich einer Zeitungsnachricht aus der Hauptstadtpresse heute vor 100 Jahren tauchen wir ein in die Fragen und Debatten, die das Berlin von 1920 bewegten. Halte dich informiert und bleib auf dem Laufenden über eine Welt, die uns heute doch manchmal näher ist, als man meinen möchte. Die aktuelle Staffel „Hamburg und die Welt vor 100 Jahren“ entsteht in Kooperation mit der Akademie der Wissenschaften in Hamburg und präsentiert Zeitungsartikel aus Hamburger Tageszeitungen. Es gilt weiterhin: bis morgen! Die ZEIT STIFTUNG BUCERIUS, die Landeszentrale für politische Bildung Hamburg und die Hapag-Lloyd Stiftung unterstützen die Pilotphase des Geschichtspodcast finanziell. Mit Dank an Andreas Hildebrandt für den Jingle und Anne Schott für die Bildmarke.
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Folge vom 13.07.2020Ossietzky: Der VölkerbundgedankeAngesichts der Greuel des 1. Weltkrieges legte US-Präsident Woodrow Wilson 1918 ein 14-Punkte-Programm vor, in dem er auch die Schaffung einer zwischenstaatlichen Organisation zum Schutz des Weltfriedens anregte. Mit der Unterzeichnung des Versailler Vertrages unterzeichneten die beteiligten Nationen schließlich auch die Satzung des Völkerbundes. Ironischerweise waren gerade die USA, deren Senat die Ratifizierung des Vertrages ablehnte, kein Teil der neuen Organisation. Aber auch in Deutschland gab es Vorbehalte und Anfeindungen. Im Auftrag der ‚Deutschen Liga für den Völkerbund’ hatte der Freiburger Historiker Veit Valentin daher eine ‚Geschichte des Völkerbundgedankens in Deutschland’ verfasst, welche der Journalist und bekennende Pazifist Carl von Ossietzky am 13.7.1920 in der Berliner Volkszeitung besprach. Ossietzky lobt den Autor nicht zuletzt für seinen leichtfüßigen, fesselnden Stil, gönnt sich aber auch eine Spitze gegen Oswald Spengler, von dessen konfusen Philosophemen über den „Untergang des Abendlandes“ sich Valentins vorurteilslose Geschichtsschreibung wohltuend absetze. Gelesen von Frank Riede.
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Folge vom 12.07.2020Plebiszit im OstenDer Erste Weltkrieg hatte die Landkarte Europas weitreichend verändert. Die meisten Grenzen wurden dabei, wie ehedem, am Reißbrett und nach Art des politischen Kuhhandels neu vermessen. Volksabstimmungen waren, sehr zum Verdruss vor allem der Kriegsverlierer Österreich, Ungarn und Deutschland, nur in Ausnahmefällen vorgesehen. Entsprechend groß fiel hier die Erleichterung – und die Genugtuung! – über die Ergebnisse der Plebiszite aus, welche im Juli 1920 in Teilen Ost- und Westpreußens abgehalten wurden. Die Tatsache, dass sich in den Abstimmungsgebieten weit über 90 Prozent der örtlichen Bevölkerung (und damit offenbar sogar etliche Angehörige der polnischen Minderheit) für den Verbleib beim ‘Reich‘ und gegen einen Anschluss an die wiedererstandene polnische Republik entschieden hatten, führte zu nationalen Aufwallungen selbst in dezidiert republikanischen Medien wie der Vossischen Zeitung. „Deutscher Sieg im Osten“ titelte selbige leicht patriotisch berauscht am 12. Juli – hier ganz nüchtern gelesen von Frank Riede.
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Folge vom 11.07.2020Wissenschaftler findet Jungbrunnen!Eugen Steinach war ein österreichischer Physiologe und Pionier der Sexualforschung. Während die Medizin etwa seiner Erfindung erster funktionierender Hormonpräparate sicherlich viel verdankt, war die von ihm entwickelte Methode der Verjüngung durch Hodentransplantation sehr umstritten. 1920, selbst 59 Jahre alt, machte er seine Forschungen dazu publik, und wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht von seinen Verjüngungserfolgen. Wie alle Berliner Tageszeitungen schreibt auch die Berliner Volks-Zeitung am 11. Juli über die Aussicht auf einen medizinisch-wissenschaftlichen Jungbrunnen, der freilich nur Männern zur Verfügung stehen soll - eine Tatsache, die nicht thematisert wird und in keinster Weise die Begeisterung des Autors trübt. Es liest Paula Leu.
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Folge vom 10.07.2020J. M. Keynes kritisiert Vertrag von VersaillesJohn Maynard Keynes gilt als einer der wichtigsten Ökonomen des 20. Jahrhunderts. Dass er mehr war als nur brillianter Wissenschaftler, zeigt allerdings auch schon sein erstes großes Buch, über „Die wirtschaftlichen Folgen des Vertrags von Versailles“. Mit erstaunlicher Klarsicht prophezeite er hier die fatalen politischen Konsequenzen, welche der insbesondere durch zu hohe Reparationsauflagen erzwungene Niedergang Deutschlands als Motor der europäischen Wirtschaft mit sich bringen sollte. Obwohl er als Mitglied der britischen Delegation selbst in Versailles war, konnte Keynes’ die Verhandlungen nicht in seinem Sinne beeinflussen. Erst nach Ende des 2. Weltkrieges fielen seine Vorschläge auf fruchtbareren politischen Boden. Dass die Berliner Volkszeitung die deutsche Übersetzung seines Buches bereits am 10.7. 1920 äußerst positiv besprach, ist allerdings auch nicht wirklich überraschend… Es liest Frank Riede.